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Kreuzesbotschaft

übernommen, vor allem P. Hieronymus Gratian und P. Ambrosius Marianus. Nicht ohne ihre Schuld fühlten sich die Beschuhten, die Väter der gemilderten Regel, beeinträchtigt und organisierten einen heftigen Abwehrkampf. Warum die Verfolgung sich auch gegen Johannes richtete, dessen Wirksamkeit eine rein geistliche war, ja gegen ihn mit besonderer Heftigkeit, das ist hier nicht zu untersuchen. In der Nacht von 3./4. Dezember 1577 drangen einige Beschuhte mit ihren Helfershelfern in die Wohnung der beiden Klosterbeichtväter ein und führten sie gefangen fort. Seitdem war Johannes verschollen. Die hl. Mutter erfuhr wohl, daß der Prior Maldonado ihn fortgeführt hatte. Aber wohin er gekommen war, das wurde erst 9 Monate später, nach seiner Befreiung bekannt. Mit verbundenen Augen hatte man ihn durch eine einsame Vorstadt in das Kloster U. L. Frau zu Toledo gebracht, das bedeutendste Karmelitenkloster der gemilderten Regel in Kastilien. Er wurde verhört, und da er sich weigerte, die Reform preiszugeben, als Rebell behandelt. Sein Gefängnis war ein enger Raum, etwa 10 Fuß lang und 6 Fuß breit; „in dem er, so klein er auch an Gestalt ist, kaum aufrecht stehen konnte“, schrieb Teresia später[1]. Diese Zelle hatte weder Fenster noch Luftöffnung außer eine Spalte hoch oben an der Wand. Der Gefangene mußte, „um das Brevier beten zu können, auf das Armen-Sünder-Stühlchen steigen und warten, bis der Sonnenstrahl auf die Wand zurückfiel“[2]. Die Tür war mit einem Vorlegeschloß gesichert. Als im März 1578 die Nachricht kam, daß P. Germanus entflohen sei, wurde auch noch der Saal vor der Gefangenenzelle abgeschlossen. Anfangs jeden Abend, später dreimal in der Woche, schließlich nur noch manchmal am Freitag wurde der Gefangene ins Refektorium geführt, um am Boden sitzend seine Mahlzeit – Brot und Wasser – zu nehmen. Im Refektorium erhielt er auch die Disziplin. Er kniete, bis zum Gürtel entblößt, mit geneigtem Haupt; alle zogen an ihm vorbei und schlugen ihn mit der Rute. Und da er alles „mit Geduld und Liebe“ ertrug, nannte man ihn „Duckmäuser“. Dabei erwies er sich „unbeweglich wie ein Stein“, wenn man ihn zum Abfall von der Reform aufforderte, ihm als Lockspeise ein Priorat anbot. Dann öffnete er die schweigsamen Lippen und versicherte, daß er nicht zurückkehren werde, „koste es ihn auch das Leben“. Die junge Novizen, die Zeugen der Schmähungen und Mißhandlungen waren, weinten vor Mitleid und sagten


  1. 230. Brief vom August 1578 an P. Hieronymus Gratian, Ausgabe d. Schriften, Bd. V², Regensburg 1914, S. 294.
  2. Hieronymus vom hl. Joseph, Historia del V. P. Juan de la Cruz, Madrid 1641, lib.III cap.VII.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/022&oldid=- (Version vom 3.8.2020)