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Eifersucht neigte, hat in diesem Fall doch nicht immer ruhig bleiben können. Andererseits war es gerade die gemeinsame Neigung, die die beiden Mädchen anfangs nahe miteinander verband.

Als ich zur Universität kam, wurde auch ich von dem Zauber ergriffen, den Rose auszuüben verstand. Sie war anfangs in unserer Freundschaft der führende Teil, aber nicht sehr lange. Durch die Bestimmtheit, mit der ich mir meine Ansichten bildete und sie gegen jedermann vertrat, später wohl auch durch die Fähigkeit zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit, gewann ich einen starken Einfluß auf sie. Ich verschwieg auch nicht, wie ich mir ihre Schwächen erklärte. Sie nahm alles, was ich sagte, dankbar und ohne Empfindlichkeit an, und hielt sich von da an noch viel fester an mich. Ich glaube, daß ihr Verhältnis zu mir nun ein ganz anderes war als die Beziehungen zu andern Menschen. Daß ich sie nicht in bengalischer Beleuchtung sah, sondern bei nüchternem Tageslicht, das war ihr wohl schmerzlich, aber es gab ihr andererseits eine Ruhe und Geborgenheit, die ihr sonst fehlte. Sie hat dies niemals ausgesprochen, ich weiß auch nicht, ob sie sich je darüber klar geworden ist. Sie fühlte sich nur von Zeit zu Zeit gedrängt mir zu schreiben, wie groß ihre Liebe zu mir sei; manchmal fügte sie noch hinzu, es sei eine „unglückliche Liebe“. Das war wohl insofern richtig, als ein solches Verhältnis ja unmöglich wechselseitig sein konnte. Aber eine treue Freundschaft und herzliche Zuneigung habe auch ich ihr immer bewahrt.

Wenn wir mit Guttmanns zusammen waren, wurde viel musiziert. Hede wurde als Pianistin und Musiklehrerin ausgebildet; sie hatte auch eine gute Stimme und war eine geborene Schauspielerin. Wenn sie uns Lieder zur Laute sang, wurden wir nicht müde, zuzuhören. Obgleich diese Gaben sie oft in den Mittelpunkt stellten, fühlte sie sich in unserm Kreise doch immer etwas zurückgesetzt. Sie war äußerlich sehr viel weniger anziehend als ihre Schwester. Außerdem kam sie sich unter den „Akademikern“ – ähnlich wie unsere älteren Schwestern – als nicht ganz ebenbürtig vor. ‘Wir steckten doch immer voll von unsern Studienangelegenheiten und konnten das „Fachsimpeln“ nicht lassen. Eine besondere Freundschaft verband Hede mit Hans Platau, der als junger Kaufmann unsern Gesprächen meist nur sehr bescheiden zuhörte.

Außer den Familienmitgliedern gab es noch eine ganze Reihe anderer Menschen, die im geselligen Verkehr unsern Kreis erweiterten. Da wir verschiedene Studienfächer und Semesterzahl hatten, hatte jede auch noch ihre eigenen Bekannten und brachte sie nach und nach mit den andern in Verbindung. Zu Lilli fanden sich zwei Medizinstudenten von außerhalb als getreue Trabanten, Skupin

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Edith Stein: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1965, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Aus_dem_Leben_einer_j%C3%BCdischen_Familie.pdf/88&oldid=- (Version vom 31.7.2018)