Seite:Dresdner Geschichtsblätter Zweiter Band.pdf/54

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

schöne Zukunftsbild zerrann nach einiger Zeit: die junge Dame hier ließ sich wenig erbauliche Dinge zu schulden kommen, und Scheibel, dem dies nicht verborgen blieb, verheirathete sich in Breslau anderweit. Der Schuldigen entzog nun zwar Glaser seine Gunst. Aber als bald darauf an Stelle der verstorbenen Großmutter die andere Enkelin die Führung seines Haushalts übernahm, gerieth er anscheinend völlig in deren Netze, und wie er sie schon einmal mit 4000 Thlrn. beschenkt hatte, so bedachte er sie auch in ganz hervorragendem Maße vor den schlesischen Verwandten, als er 1771 zum ersten Male ein wirkliches Testament an Gerichtsstelle hinterlegte. Als sie nach einiger Zeit starb, fand er freilich die Beweise dafür, daß die – wie er selbst nunmehr sagt – „erzböse Kreatur und Antipode von Verstand und Tugend“ ihn hintergangen, namentlich auch seit mehreren Jahren die Briefe Scheibels unterschlagen hatte, in denen dieser ihn immer von Neuem vor seiner eigennützigen Umgebung warnte und um Verwirklichung seiner guten Absichten gegen die Verwandten bat. So errichtete er denn noch auf seinem letzten Krankenlager ein neues Testament, durch welches Scheibel zum Haupterben eingesetzt wurde mit der Verpflichtung, die kleinere Hälfte des Vermögens an die andern Verwandten, sowie in einigen kleinen Legaten an hiesige Persönlichkeiten auszufolgen.

Scheibel war voll dankbarer Rührung und ließ einen längeren rühmenden Nachruf für den Verstorbenen drucken, der in Breslau nach Ortssitte in der Kirche verlesen, auch an Bekannte versandt wurde. Seine Freude sollte jedoch nur kurz sein; denn die noch lebenden Nachkommen der verstorbenen Offizierswittwe, unter ihnen die ihm einst zugedachte Enkelin, beanspruchten nunmehr unter Berufung auf mündliche Vereinbarungen, die Glaser einst mit jener getroffen, bez. auf Verpflichtungen, die er ihr gegenüber gehabt habe, nahezu 6/7 des Nachlasses, und es begann ein Prozeß, der sich bis zum Jahre 1792 hinzog. Wiederholt verwandte sich seit 1780 auf Scheibels Ansuchen die preußische Regierung um Beschleunigung der Sache und erbat Auskunft über ihren Stand. Wir erfahren bei einem solchen Anlaß im Jahre 1785, daß die Angelegenheit damals auch schon den Juristenfakultäten in Leipzig und Wittenberg vorgelegen hatte, daß die Akten bereits auf 74 Bände angeschwollen waren, und daß Scheibel unter Voraussetzung zweier von den Klägern zu leistenden Eide für schuldig erkannt werden sollte, in der einen Sache 2768 Thlr. nebst Zinsen seit 1773, in der andern 6000 Thlr. zu zahlen. Und die betreffenden Eide sind augenscheinlich geleistet worden. Der Prozeß hat einen für Scheibel nachtheiligen Ausgang genommen, bei dem es auch blieb, nachdem die Regierung ihn, um den preußischen Wünschen entgegenzukommen, noch dem Appellationsgericht vorgelegt hatte. Waren sonach schließlich aus dem unter Beschlag verbliebenen Nachlaß die Forderungen der Kläger nach dem soeben mitgetheilten Ansatz zu befriedigen, so steht zu vermuthen, daß der einst so beglückte Scheibel sammt den übrigen Legataren nicht nur nichts erhielt, sondern leicht noch zu den Kosten zulegen mußte. Jedenfalls waren Glasers letzte Absichten in dieser Hinsicht in ihr völliges Gegentheil verkehrt.

Erfreulicheres läßt sich von seiner geistigen Hinterlassenschaft melden. Glaser hatte, wie früher angedeutet wurde, in seiner Wissenschaft fleißig weitergearbeitet, wenn auch ohne zu einer zusammenfassenden Veröffentlichung seiner Ergebnisse zu kommen. Insbesondere hatte er gesucht, „diejenige allgemeine Konstruktion zu entdecken, vermittelst welcher bei regulären sowohl als irregulären Vielecken von innen auswärts und von außen einwärts, mit oder ohne Faussebraye, dergestalt fortifizirt werden könnte, daß alle Hauptflanken einerlei Länge und auf der Defens-Linie rechtwinklige Stellung erhielten“, – also eine Universalformel für Herstellung vollkommener Befestigungen im Sinne der Zeit. Und in der That glaubte er diese noch kurz vor seinem Tode gefunden zu haben, nur daß seine Kräfte nicht mehr zur vollständigen Ausarbeitung hinreichten. Jedenfalls legte er Werth darauf, daß die Frucht seiner langjährigen Bemühungen nicht verloren gehe, und so bestimmte das Testament, das wenigstens in diesem Punkte zur alsbaldigen Ausführung gekommen ist, daß der Ingenieurhauptmann Aster ein vorhandenes, noch unvollendetes Manuskript zur Veröffentlichung übernehme. Dafür sollte ihm das zu erwartende Honorar, sowie ein kleines Legat an Geld und Büchern zufallen.

Friedrich Ludwig Aster, Glasers dankbarer und ohne Zweifel bedeutendster Schüler, der 1804 als Generalmajor und Chef des Ingenieurkorps gestorben ist, war 1732 in Dresden geboren [1]. Er wurde durch Privatunterricht zum Eintritt in das Korps vorbereitet, dem er bereits 1750 als aggregirter Sous-Lieutenant zugeschrieben ward. Von Glaser empfing er Unterricht in der Mathematik und den übrigen Ingenieurwissenschaften vom Jahre 1746 an bis zum Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus diesem Kriege als Hauptmann zurückgekehrt, stand er dann mit seinem ehemaligen Lehrer bis zu dessen Tode, wie er selbst sagt, in fast täglichem Verkehr. Weiteren Kreisen geläufig ist sein Name besonders durch die von ihm veranlaßte und geleitete neue Landesvermessung, und von seinen Söhnen sind zwei zu anerkannter Bedeutung gelangt – sie


  1. Vergl. den zum größten Theile von ihm selbst herstammenden Lebensabriß i. d. Zeitschr. f. Kunst, Wissensch. u. Gesch. d. Krieges, Jahrg. 1858, Heft 8, S. 150-158.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/54&oldid=- (Version vom 6.7.2024)