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Frau Anna Sibylle, eine Tochter Melchior Müllers[1], schenkte ihm außer einer Tochter, die sich später mit Meister Tobias Ehrlich, einem Senkler, verehelichte, zwei Söhne: Johann Jakob, geboren am 13. April 1652, und Andreas, geboren am 15. Dezember 1653. Die geistige Atmosphäre in einem solchen Gasthause niedersten Ranges war einer guten Erziehung der Kinder an sich gewiß nicht förderlich, um so mehr zeugt es von Einsicht und Strebsamkeit der Eltern, daß sie beide Söhne auf die Kreuzschule schickten, um sie studiren zu lassen. Das war damals in ihrem Stande keineswegs etwas Gewöhnliches, ließ doch sogar der Rektor der Kreuzschule selbst, M. Johann Bohemus, seine beiden Söhne Handwerker werden!

Johann Jakob Stübel verließ nach seiner Konfirmation die Kreuzschule, deren Leistungen zu jener Zeit höheren Ansprüchen nicht genügten, und bezog zu Michaelis 1666 die Fürstenschule zu Meißen. Seit 1670 studirte er in Wittenberg die schönen Wissenschaften und daneben Theologie. Bereits 1671 wurde er Magister, und wegen seiner dichterischen Begabung erhielt er den Ehrentitel eines gekrönten Poeten. Der Professor der Theologie D. Wilh. Leyser nahm ihn in sein Haus und vertraute ihm den Unterricht seiner Söhne an. Nach Beendigung der Studien kehrte er in seine Vaterstadt zurück und übernahm hier zunächst eine Hofmeisterstelle beim Hofrath Samuel Hund und alsdann beim Geheimen Rath, Oberhofrichter und Oberkonsistorialpräsidenten Gottfried Hermann von Beichlingen, die er sieben Jahre lang inne hatte. Von dem Beichlingischen Gute Zschorna aus bewarb er sich in einem Schreiben vom 10. Februar 1681 – freilich vergeblich – um das damals freigewordene Tertiat bei der Kreuzschule; dem Bewerbungsschreiben war als Probe seines Könnens eine soeben in Meißen gedruckte lateinische Gratulationsschrift für den neuernannten Oberhofprediger D. Lucius beigelegt[2].

Um diese Zeit hatte er Gelegenheit, seinem alten Vater in einem Rechtsstreite beizustehen. In dessen Namen richtete er am 5. September 1681 an den Kurfürsten eine Beschwerde über den Nachbar Andreas Stübels, den Weißbäcker Roitzsch, der ihm widerrechtlich hart an die Wand seines Hauses einen neuen Backofen gebaut und ihm so zwei Fenster versetzt habe; es werde ihm dadurch in seinem hohen Alter – er war über 80 Jahre alt, schwerhörig und bereits etwas gedankenschwach – große Unlust, Feuersgefahr und Abgang seiner wenigen Nahrung über den Hals gezogen, so daß er nicht mehr im Stande sein würde, die auf seinem schlechten und baufälligen Hause haftenden 210 Schocke zu versteuern. Ein zweites Schreiben richtete M. Stübel am folgenden Tage an den Rath, worin er gegen das Vorgehen des Nachbars Verwahrung einlegte. Die Behörden ließen sich aber durch die lebhaften Schilderungen des jungen Schulmeisters nicht irre machen; der Rath beauftragte seine Bauverständigen mit der Schlichtung des Streites, und diese wiesen Stübels Widerspruch ab, weil die ihm angeblich verbauten Fenster weiter nichts als Löcher seien, die er selbst widerrechtlich durchgebrochen habe[3]. Die Hitze des nachbarlichen Backofens mag dem alten Manne die letzten Tage recht verbittert haben.

M. Joh. Jakob Stübel blieb nach dem bald nachher erfolgten Tode des Vaters nicht mehr lange in Dresden: auf Empfehlung des Präsidenten von Beichlingen ward er am 27. Mai 1682 Rektor in Annaberg. Die dortige Schule soll unter seiner Leitung einen großen Aufschwung genommen haben, er selbst aber bestrebte sich bald, anderwärts eine bessere Stelle zu erlangen. Nach dem Tode des Rektors Egenolf bewarb er sich am 12. September 1688 um das Rektorat an der Kreuzschule[4] – wieder ohne Erfolg: der Prophet galt eben nichts in seinem Vaterlande. Kein Wunder, daß er nach solchen Erfahrungen unschlüssig wurde, ob er nicht lieber den Beruf des Lehrers mit dem des Geistlichen vertauschen solle. Da erging an ihn ein Ruf zum Konrektorat an der Meißner Fürstenschule, und er trat dieses Amt am 23. August 1699 an. Schon am 5. August 1705 rückte er zum Rektor der Schule auf und hat als solcher mit großer Treue und gutem Erfolge gewirkt, bis er am 31. Oktober 1721 das Zeitliche segnete. In einer seiner Schriften sagt er einmal, er wäre zwar auf vielfache Art verleumdet worden, aber Fleiß und Emsigkeit in Ausrichtung seines Amts hätten ihm selbst seine Feinde zugestanden. Es wird von ihm berichtet, er sei von Natur sehr ausdauernd und ungewöhnlich mäßig gewesen; er habe sehr wenig gegessen und getrunken und wöchentlich einen Tag gefastet, so daß er bis tief in die Nacht studiren und täglich früh um 3 Uhr habe aufstehen können[5]. Als Frucht seines Fleißes hinterließ er eine große Anzahl Programme und andere kleine Schriften, meist theologischen Inhalts; namentlich aber machte er sich durch Herausgabe der lateinischen Reden des ebenfalls aus Dresden gebürtigen berühmten Wittenberger Professors der Poesie und Eloquenz August Buchner verdient, die damals an der Meißner Fürstenschule höher geschätzt und mehr gelesen wurden als die Reden


  1. Siehe die Lebensbeschreibung Andreas Stübels d. J. in dem 1725 erschienenen Auktionskataloge seiner Bibliothek.
  2. Rathsakten D. XII, BI. 63.
  3. Rathsakten F. I. 1, Bl. 85 flg.
  4. Rathsakten D. XII, BI. 224.
  5. J. A. Müller, Geschichte der Fürstenschule zu Meißen, Bd. 2 (1789), S. 123 flg.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/30&oldid=- (Version vom 4.6.2024)