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armen Bauernburschen zwang, in der Fremde sein Fortkommen zu suchen, indem er bei einem der das Reich durchziehenden Söldnerheere Dienste nahm. Genug, Andreas Stübel kam nach Sachsen, trat hier als „reisiger Knecht“ in kurfürstlichen Dienst und ließ sich, wie er selbst sagt, „bei der Leibklepperei gebrauchen“. Auf ihn könnte man die Worte seines berühmten Zeitgenossen Oberst Buttler sinngemäß anwenden:

„Ich kam, ein schlechter Reitersbursch’, aus Irland...
Vom niedern Dienst im Stalle stieg ich auf,
Durch Kriegsgeschick, zu dieser Würd' und Höhe,“

wenn nur er selbst und nicht erst seine Nachkommen die „Höhe“ erreicht hätten.

Andreas Stübel war um das Jahr 1601 geboren. Im Alter von etwa 36 Jahren mochte er des Reiterdienstes überdrüssig sein und sich nach einem ruhigeren Erwerb sehnen. Durch eine Heirath gelang es ihm, sein Dasein gegen die Wechselfälle des damals noch immer andauernden Krieges zu sichern. Er warb mit Glück um eine wohl nicht mehr ganz junge Wittwe, die auf der Weißegasse gegenüber der Rathsbaderei ein Haus besaß und darauf das Gewerbe des Beherbergens von Boten betrieb. Nach dem städtischen Geschoßbuche muß es die Wittwe des Schneiders Georg Ranisch gewesen sein. Mit dieser „Botenherberge“ verhielt es sich so: Zahlreiche Orte des Landes, namentlich in dem vom großen Verkehr abgelegenen Erzgebirge und Vogtlande, unterhielten eine direkte Verbindung mit der Hauptstadt durch laufende Boten, denen man Briefe, Gelder und allerhand Aufträge zur Besorgung übergab, während die Güterbeförderung durch die langsameren Botenfuhrleute vermittelt wurde. Diesen Boten war es wegen der Gefahr der Verbreitung ansteckender Krankheiten, namentlich der häufig auftretenden Pest, früher untersagt, in der Stadt selbst zu wohnen; sie mußten im „Weißen Rößchen“ vor dem Wilsdruffer Thore einkehren, das zu ihrer Beherbergung privilegirt war. Während des Krieges aber, wo der Schluß der Festungsthore strenger gehandhabt werden mußte, war das Bedürfniß entstanden, den Boten, die ihre Aufträge nicht immer vor Thorschluß zu erledigen vermochten, auch innerhalb der Festung Gelegenheit zum Uebernachten zu bieten, und so war jener Frau Ranisch auf ihr Ansuchen in der kurfürstlichen Kanzlei mündlich die Erlaubniß ertheilt worden, ihr Haus in der Weißegasse[1] zu einer Botenherberge einzurichten. Andreas Stübel, der bei seinem Berufe gewiß mit manchen der fremden Boten bekannt geworden war, mag dort bisweilen sein Gläschen getrunken und die Zuneigung der Wirthin gewonnen haben. Die Ehe der beiden war aber nicht von langer Dauer: schon nach wenigen Jahren starb die Frau und er selbst übernahm nun das Haus, freilich auch die noch darauf haftenden Schulden. Er mußte jetzt Bürger werden; bei seiner am 23. Februar 1641 erfolgten Vereidigung ist er im Bürgerbuche eingetragen als „Andreas Stubell von Oberndorff im Ambt Klebergk, ein reisiger Knecht, brennet Brantewein und helt Gastung.“

Eine Reihe von Jahren hatte Stübel seine Botenherberge bewirthschaftet, da fingen auch andere Hausbesitzer, besonders einige Wittwen an, Boten bei sich aufzunehmen und ihm dadurch in unliebsamer Weise den Verdienst zu schmälern. Er richtete daher im Jahre 1655 an den Kurfürsten das Gesuch, diesen Mitbewerb zu verbieten und ihm das alleinige Recht zum Beherbergen von Boten innerhalb der Stadt zu ertheilen; er machte dafür hauptsächlich geltend, der Hof und andere vornehme Auftraggeber müßten zur Vermeidung von Zeitverlust und Schaden jederzeit wissen, wo sie die Boten finden könnten, und man dürfe ihnen deshalb nicht gestatten, in der ganzen Stadt verstreut zu wohnen. Der Kurfürst ertheilte ihm das gesuchte Privilegium, jedoch mit dem Bedeuten, daß er sein hölzernes Haus gut gegen Feuersgefahr verwahren solle. Dagegen aber erhoben zahlreiche Boten, die bisher anderwärts gewohnt hatten, in einer von ihnen allen unterzeichneten Eingabe lebhafte Vorstellung, wobei sie sein Haus als nicht geräumig und sicher genug bezeichneten. Stübel suchte ihre Behauptungen zu entkräften: nach seinen Angaben kamen täglich 10 bis 12 Boten bei ihm an, er trug ihre Namen in ein „Register“ ein und schickte sie jeden Tag auf einem Zettel verzeichnet „an gehörige Orte“. In der Unterstube könne er über 30 Mann beherbergen, ebensoviele in der Oberstube, und außerdem habe er noch eine Stube und acht Kammern zur Verfügung. Niemals sei Geld, das ihm zur Aufbewahrung anvertraut worden, verloren gegangen, auch sei sein Haus immer von der bösen Seuche verschont geblieben. „Ich vertraue“, schrieb er, „Gott dem Allerhöchsten und lasse in meinem Hause fleißig beten, singen, Gott loben und preisen, der wird mich und alle, die bei mir ein- und ausgehen, vor allem Unfall gnädiglich behüten und bewahren.“ Die Regierung erachtete aber die Verhältnisse in der Botenherberge Stübels doch für unzureichend, sie nahm das ihm ertheilte Privilegium zurück und gab das Herbergsgewerbe frei[2].

In den damaligen Bittgesuchen weist Stübel darauf hin, daß er noch „kleine unerzogene Kinder“ zu ernähren habe. Er hatte nämlich, anscheinend Anfangs der fünfziger Jahre, wieder geheirathet. Seine zweite


  1. Zuletzt Weißegasse Nr. 2, abgebrochen bei Anlegung der König Johann-Straße.
  2. Rathsakten C. XLI. 3.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/29&oldid=- (Version vom 4.6.2024)