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VI. Jahrgang          1897          Nr. 2.


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Zur Geschichte der Familie Stübel.
Von Dr. Otto Richter.

Unsre Stadt steht im Begriff, dem vor zwei Jahren dahingeschiedenen Oberbürgermeister Dr. Paul Alfred Stübel ein Denkmal zu errichten – gewiß eine ungewöhnliche Ehre für den, dessen Wirken sich nie über den engen Kreis seiner Heimath hinaus erstreckt hat. Aber dieser Oberbürgermeister war auch ein seltener Mann, ausgezeichnet ebenso durch berufliche Tüchtigkeit wie ganz besonders durch treffliche Eigenschaften des Charakters und des Herzens, die ihn zu einer von seinen Mitbürgern verehrten Persönlichkeit gemacht hatten. Schon von seinem Vater und Großvater werden solche Tugenden gerühmt, und manches davon ist deshalb gewiß als ein Erbtheil der Vorfahren zu betrachten. Wo in dieser Weise eine Familie durch gute Ueberlieferungen allmählich emporgehoben worden, lohnt es sicherlich, ihrer Vergangenheit und ihrem Ursprunge nachzuforschen. Da mit dem Tode Alfred Stübels der hervorragendste Zweig der Familie abbricht, lag der Gedanke nahe, nun einmal die Anfänge ihrer Geschichte aufzusuchen.

Die Familie selbst vermochte bisher ihren Stammbaum nur bis auf einen Johann Gottfried Stübel zurückzuführen, der seit dem dritten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts als kurfürstlicher Accisinspektor in Kamenz lebte. Bei der früheren Seltenheit des Namens in unsrer Gegend bestand aber von vornherein die Wahrscheinlichkeit, daß schon die beiden gleichnamigen bekannten Gelehrten, die Mitte des 17. Jahrhunderts in Dresden geboren waren, dieser Familie angehörten, und es erschien nicht ohne Reiz, wenn es gelänge, ein Geschlecht, aus dem zuletzt eine so namhafte Persönlichkeit von ausgeprägter Dresdner Art wie der verewigte Oberbürgermeister hervorgegangen war, in seinem Ursprunge wieder auf unsre Stadt zurückzuführen. Die angestellten Nachforschungen haben nun ergeben, daß die Bürgerfamilie Stübel in der That aus Dresden stammt.

Ein von den Wogen des dreißigjährigen Krieges hierher verschlagener Bauernbursche, Andreas Stübel aus Oberndorf in Niederbaiern, ist ihr Begründer. Diese Herkunft aus Süddeutschland giebt auch dem Namen seine Erklärung: Stübel ist gleichbedeutend mit unserem Stübchen. Man wird sich die Entstehung des Namens vielleicht so zu denken haben, daß in der Zeit, wo die Familiennamen sich bildeten, also im 14., 15. oder erst im 16. Jahrhundert, einer der Vorfahren als Auszügler im Bauernhofe das Stübchen („Austragstüb’l") bewohnte und zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Sohne etwa „Andreas im Stübel“ genannt wurde, eine Bezeichnung, die dann in verkürzter Form als Familienname Stübel auf die Nachkommen überging. In dieser Weise wenigstens läßt es sich in Dresden aus den Bürgerlisten des 15. Jahrhunderts mit Sicherheit nachweisen, daß aus einem „Peter im Keller“ allmählich ein Peter Keller, aus einem „Andreas bie der Bach“ ein Andreas Bach geworden ist.

Ueber den Grund, warum Andreas Stübel seine Heimath verließ, lassen sich nur Vermuthungen äußern. Vielleicht geschah es um des Glaubens willen, denn es ist auffällig, daß er, den wir später als frommen Protestanten kennen lernen, aus der streng katholischen Passauer Gegend stammt. Vielleicht war es aber auch nur die Noth jener schweren Zeit überhaupt, die den


Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/28&oldid=- (Version vom 4.6.2024)