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die, ich darf es gestehen, mich zum ersten Male an mich selbst erinnerte, zu verdoppeln.

Ich hatte allerdings mir nicht verhehlt, daß, wenn die Demokratie den Sieg davon tragen und mein Antheil an der Entfernung des Königs zu Tage kommen sollte, man mit mir, bei der damaligen, geradezu an Wuth grenzenden Stimmung gegen denselben, in ein sehr strenges Gericht gehen werde; denn durch die Entfernung des Königs war der Demokratie mit einem Male die Aussicht benommen worden, daß der König, dessen weiches und der Rührung leicht zugängliches Herz allgemein bekannt ist, bei einem länger fortgesetzten Straßenkampfe doch noch zur Nachgiebigkeit bewogen werden könne. Allein je mehr ich gegen Andere darüber aufgebracht war, daß ihnen das Gefühl der persönlichen Selbstaufopferung so gänzlich fremd war, um so weniger durfte ich einen Augenblick mein eigenes Schicksal beachten, wo es galt, den König und das ganze Land nach Befinden vor unheilbarem Verderben zu retten. Und das Leben des Königs konnte damals, dessen war ich mir vom ersten Momente an klar, sehr leicht gefährdet werden, denn in so stürmischen Zeiten hilft der Zufall oft vollführen, was die Absicht allein nicht erreichen kann, und welch’ unübersehbaren Wirrwarr würde der Tod des Königs damals über das Land gebracht haben!

Dahingegen muß ich gestehen, daß bei allen diesen Betrachtungen der Gedanke an das Gelingen meiner Unternehmung mich aufrecht erhalten und ermuthigt hatte. Jetzt trat zum ersten Male die Volksrache und das Mißlingen der von mir angetragenen Hilfe vor meine Seele. Wer will mit mir darüber rechten, daß dieser Gedanke mich bis in die tiefste Seele erschütterte? Doch wurde ich endlich, ebenfalls mit Hilfe des Zufalls, von meiner unbeschreiblichen Besorgniß erlöst. Ein Bekannter, Kanzlist Röhr, theilte mir auf der Straße unaufgefordert mit: daß er soeben einen Fremden gesprochen, welcher von Schandau über Königstein, Pirna und Pillnitz in Neustadt-Dresden eingetroffen, beim Vorüberfahren an der am Fuße der Festung Königstein gelegenen „Neuen Schänke“ den König im Hinaufsteigen begegnet habe. Die von jenem Fremden angeführten weitern Details ließen keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Mittheilung aufkommen. – Herzlicher hat wohl an jenem Tage nicht leicht irgend Jemand Gott gedankt als ich!

Freitag der 4. Mai, Abends, ließ mich einen Blick in die Wankelmüthigkeit des Militärs niederer Grade thun, der mich, was namentlich den Verkehr zwischen Soldaten und Bürgern im Neustädter Kellerlokale anlangte, mit höchster Besorgniß erfüllte. Unzweifelhaft trug noch die feste Haltung des aus Leipzig eingetroffenen, auf der Brücke postirten Schützenbataillons das Meiste bei, das Ehrgefühl der andern in Neustadt verbliebenen Truppentheile, denn nur von diesen kann ich sprechen, aufrecht zu erhalten. Dem ungeachtet kamen im Verkehr zwischen Soldaten und Bürgern ganz offen die, bei den überall reichlich fließenden Getränken, nicht einmal für frevelhaft geltenden Hoffnungsäußerungen vor, daß am nächsten Tage auch die Schützen mit den Bürgern gemeinschaftliche Sache machen würden.

Als nun am Morgen des 5. Mai, Sonnabends, die Bekanntmachungen der inzwischen zusammengetretenen provisorischen Regierung im Anzeiger und Journale erschienen, welche den Eingang enthielten: „Der König und die Minister sind geflohen. Das Land befindet sich ohne Regierung etc.,“ litt es mich nicht mehr in Dresden. Nachdem ich vorher noch bei meinem Kollegen Kühnel gewesen war und dort dem zufällig ebenfalls anwesenden Referendar im Gesammtministerio, Roßberg, die Zusicherung ertheilt hatte, für Herbeischaffung eines gewissen (hier nicht näher zu bezeichnenden) Schriftstücks besorgt zu sein, dessen Erlangung damals von der äußersten Wichtigkeit war, eilte ich, anfangs zu Fuße, nach der Festung Königstein, weil ich annahm, daß man dort von dieser Perfidie der provisorischen Regierung, welche den Glauben an den gänzlichen Mangel einer legitimen Regierung in Sachsen hervorrufen sollte, noch nicht unterrichtet sein werde. Und ich hatte mich hierin keineswegs getäuscht.

Schon in Wachwitz traf ich vor der Presse einen Wagen, den ich, obgleich der Kutscher keine Livree trug, wie dies an jenem Tage, mit Ausschluß der Hofdienerschaft auf der Festung Königstein selbst, überall der Fall war, doch sofort für einen Hofwagen erkannte. Der Kutscher fuhr mich auf Verlangen augenblicklich nach Pillnitz zu dem Bereiter Zacharias und dieser gab mir abermals Wagen und Pferde, von denen ich mich wieder bis auf die Anhöhe vor Dorf-Wehlen bringen ließ. Von hier aus ging ich nach Stadt-Wehlen, ließ mich hier über die Elbe setzen, nahm einen Führer über Thürmsdorf nach der Festung Königstein und traf daselbst auch Nachmittags in der 4. Stunde ein.

Ich erhielt Zutritt bei dem Prinzen Johann, welchen ich von dem Staatsminister Dr. Zschinsky, dem General von Engel und dem General Reichard umgeben fand. Nachdem ich meinen Rapport mit möglichster Offenheit und Umständlichkeit erstattet hatte, begab sich der Staatsminister Dr. Zschinsky zum Könige und händigte mir dann eine kurze schriftliche, jedoch wie ich, behufs leichterer Vertilgung, gebeten hatte, offene Instruktion ein. Auch vom Prinzen Johann erhielt ich Aufträge, die jedoch nur

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/194&oldid=- (Version vom 14.8.2024)