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mit der nunmehr eingetretenen Gewißheit der einzuschlagenden Richtung auch eine gewisse Ruhe in mein Inneres wieder einkehrte.

In dieser Stimmung begab ich mich nach Hause[1], nachdem ich noch unterwegs, an den Pontonschuppen, den Hauptmann von Grünenwald in dem Augenblick getroffen hatte, wo er mit seiner Batterie sich zum Abmarsch bereit machte. Ich sagte ihm, Abschied nehmend, „Sie werden viel zu thun bekommen!“ Der Erfolg hat dies bestätigt.

Bei dem Mittagessen theilte ich meiner Frau mit, daß ich in die Stadt gehen würde, um für alle Fälle Sorge zu tragen, damit schon in nächster Nacht ein Dampfschiff in Bereitschaft sei, wenn vielleicht „Jemand vom Hofe“ Dresden verlassen wolle. Nach 3 Uhr trat ich meinen Weg an der Elbe hin an. Der Kaufmann Opitz, welcher bereits auf dem Bade wohnte, begleitete mich bis auf die Stelle dem Elbberge gegenüber. Weil aber schon auf dem Kreuzthurme gestürmt wurde und man Schüsse hörte, kehrte er wieder nach Hause zurück, ich dagegen fuhr im Kahne über die Elbe und ging im Gondelhafen hinauf nach dem Zeughause zu. Dort war aber der ganze Raum mit Menschen so vollgestopft, daß ich kaum die Brühlsche Terrasse erreichen konnte. Man sah, darunter auch Weiber, den Angriffen des Volks auf das Zeughaus zu! Ich ging einen Augenblick zu dem Inhaber der Restauration auf der Terrasse, Haßfeld, den ich sehr muthlos fand, und sprach ihm, sowie seiner Frau nach Kräften Muth zu, indem ich ihn namentlich daran erinnerte, daß er stets so viel für die Armen gethan habe. Als ich wieder heraustrat, fiel im Zeughause ein furchtbar krachender Kanonenschuß, und augenblicklich darauf stürzten Hunderte von Menschen in der wildesten Flucht über die Brühlsche Terrasse hinweg, so daß es den Anschein hatte, als ob wenigstens Reiterei auf dem Fuße folge. Indessen brachten in einem geringen Zwischenraume 4 bis 5 tobende Handarbeiter einen Verwundeten geführt, welcher einen Streifschuß am Kopfe erhalten hatte. Die Wunde war mit einem schmutzigen weißen Tuche verbunden, allein das Blut drang darunter hervor und hatte seine ganze Kleidung in einem langen Strahle bereits überflossen. Der Verwundete ließ sich ruhig führen, allein seine Begleiter stießen die leidenschaftlichsten Verwünschungen, namentlich gegen das Militär, aus und schwuren hoch und theuer, wenn sie nur erst das Zeughaus erstürmt und sich in den Besitz von Waffen gesetzt hätten, schreckliche Rache nehmen zu wollen.

Auch für den, der noch nie eine Revolution mit angesehen, wie ich, mußte es sonnenklar werden, daß eine solche hier mit Riesenschritten vorwärts ging. Man stellte jenen Verwundeten auf dem Platze vor dem Schlosse und der katholischen Kirche förmlich zur Schau aus und von allen Himmelsgegenden strömten Zuschauer herzu. Der immer größer werdende Haufe wurde jedoch bald durch das bloße Erscheinen von vier Geschützen zerstreut, welche unter dem Hauptmann von Grünenwald über die Brücke nach Altstadt marschirten und dort, unmittelbar am Ausgange der Brücke, mit der Mündung theils nach der Augustusstraße, theils nach dem Durchgange zwischen Kirche und Schloß gerichtet, abprotzten.

Einen besonders tiefen Eindruck machte es auf mich, als ich gewahrte, daß man in der I. Etage des Schlosses nach der Brücke heraus in einer der gläsernen Balkonthüren von unten herauf eine Scheibe eingeworfen hatte. Wenige Stunden nach Beginn des öffentlichen Widerstandes, und schon ein so thätliches Vergreifen an den nächsten wohnlichen Umgebungen des darin anwesenden Staatsoberhauptes! Dieses Hinwegsetzen über alle Gebote der Sittlichkeit, der Achtung, ja sogar der bei der großen Masse durch Gewohnheit wenigstens geheiligten Pietät, ließ mich deutlich erkennen, daß an keine Schonung von Seiten des Volks mehr zu denken, sondern daß der Kampf auf Tod und Leben bereits engagirt war.

Ich machte mich sonach an mein reiflich überlegtes Werk. In dem kleinen Hause an der Appareille, wo das Büreau der Dampfschiffe sich befindet, waren nur zwei Expedienten, der ehemalige Kaufmann Albrecht, den ich sehr gut kenne, und ein mir unbekannter junger Mensch, Namens Reichel, zugegen. Die Dampfschifffahrtsdirektoren Heimbold und Leonhardi waren, wie ich auf Befragen erfuhr, an jenem Tage von Dresden abwesend.

Ich nahm jene beiden Expedienten auf die Seite und ließ mir von ihnen das Ehrenwort darauf geben, über das, was ich ihnen eröffnen würde, gegen Jedermann das tiefste Stillschweigen zu beobachten, indem ich zugleich jeden von ihnen für die unübersehbaren Folgen eines Bruchs dieses Angelöbnisses auf das Ernstlichste verantwortlich machte. Hierauf erklärte ich ihnen, daß ich von diesem Augenblicke an das eben an der Appareille vacant liegende einzige Dampfschiff „Friedrich August“ auf meine Rechnung in Beschlag nehme und für alle Kosten (nach Befinden aus meinen Mitteln) stehen würde, weil vielleicht Jemand von der Königlichen Familie damit abreisen werde. Auf meine Anfrage

      a) warum das Schiff eben geheizt werde und
      b) ob Kohlen genug vorhanden seien, um vielleicht eine Fahrt nach Königstein zu unternehmen?

erfuhr ich


  1. Fritzsche wohnte auf dem Linckeschen Bade.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/192&oldid=- (Version vom 14.8.2024)