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gegen uns schleuderte. Mag auch jener ursprünglichen Hilfe der Verdacht einer weiteren Vorausberechnung nicht gerade untergelegt werden, so nahm doch das spätere Verhalten Preußens in der traurigen Unionsepoche ganz die Wendung an, als ob man die ehemalige Hilfeleistung sich zu Nutze machen wolle, um von dem Gefühle der Dankbarkeit nunmehr dasjenige als ein freiwilliges Opfer zu beanspruchen, was die von Preußen unterstützten Staaten der Demokratie gezwungen hatten Preis geben sollen: ihre selbstständige staatliche Existenz.

Uebrigens muß ich dem Staatsminister Dr. Zschinsky noch jetzt das Zeugniß geben, daß bereits in den letzten Augenblicken, die ich mit ihm vor seiner Ernennung zu dieser Charge in politischem Gespräche verbrachte, wir uns darüber einigten, daß, wenn Kraft genug vorhanden sei, dem Drängen der Demokratie nach Anerkennung der Reichsverfassung zu widerstehen – worüber auch ihm damals noch nichts bekannt war – dieser Widerstand jedenfalls gewagt werden müßte. Als daher Dr. Zschinsky nach seiner Berufung in das Ministerium den König bei dessen Weigerung gegen eine solche Anerkennung unterstützte, hat Ersterer nicht blos den Willen des Königs vollzogen, sondern ist hierbei, weil ihm das Hilfsanerbieten Preußens natürlich in seiner neuen Stellung sofort bekannt werden mußte, auch der eigenen Ueberzeugung vollkommen treu geblieben.

Wer, wie ich, absichtlich so viel mit Demokraten verkehrt hatte, dem konnte nicht verborgen bleiben, daß dieselben, wo es die Erreichung ihres auf Einführung republikanischer Regierungsformen gerichteten einzigen Zieles galt, zu jeder Gesetzesübertretung, zu jedem politischen Verbrechen bereit und gerüstet waren. Eine neue politische Weltordnung schwebte ihnen einmal vor. Jeder hielt sich für ebenso befähigt als berufen, bei dieser gewaltsamen Reorganisation eine Hauptrolle – mit einigen Nebenvortheilen für ihn selbst – zu spielen, und was dabei nach gewöhnlichen reaktionären Begriffen in die Kategorie der Verbrechen; wenn auch der schwersten, gehörte, dafür ließ sich, bei dem ihnen, den Demokraten, auch nicht im Entferntesten zweifelhaften Siege, äußersten Falles in krimineller Hinsicht die Freisprechung durch das Verdikt gleichgesinnter Geschworenen, sowie in moralischer Beziehung eine Absolutoria durch die ebenmäßige Gefügigkeit des eigenen Gewissens versprechen, welches man mit den Vorspiegelungen von der Heiligkeit des Zweckes auch über die Wahl der Mittel längst in den erforderlichen Schlaf eingewiegt hatte.

Unter diese Mittel gehörte selbstverständlich auch Revolution und Entthronung, und ich war schon am Montage, dem 30. April 1849, davon, daß erstere in den allernächsten Tagen ausbrechen werde, so vollkommen überzeugt, daß ich, da man mit solchen Prophezeiungen unbegreiflicherweise überall nur tauben Ohren predigte, meinem Kollegen Kühnel[1], als wir an jenem Montage Mittags gemeinschaftlich in unsere Wohnungen zurückkehrten, die Mittheilung machte: ich würde, da noch im Laufe der eben angetretenen Woche der König genöthigt sein werde, seine Residenz bei Nacht und Nebel zu verlassen, wenigstens immer Vorkehrung treffen, daß ihn ein Dampfschiff bei dieser gezwungenen Entfernung aufnehme und außerhalb Dresden bringe. Auch Kühnel wollte meine Befürchtungen in solchem Umfange nicht theilen, er wird aber die Wahrheit vorstehender thatsächlichen Angabe gewiß jederzeit bestätigen.

Als daher am Donnerstage, dem 3. Mai, der Kommunalgardenausschuß zu Dresden den unglückseligen Beschluß gefaßt hatte, die Kommunalgarde auf Appell zusammen zu berufen, um ihr – unter den Waffen – die Antwort des Königs auf die Adresse der Kommunalgarde zu eröffnen, so eilte ich, da mein Kollege Kühnel Mittags gegen 1 Uhr in der höchsten Bestürzung aus der Sitzung des gedachten Ausschusses, dessen Mitglied er war und wo er, sowie der Stadtrath Advokat Herrmann ganz allein die Festigkeit gehabt hatten, gegen jenen Beschluß zu stimmen, nach der Kanzlei zurückkam, sofort in das Sitzungszimmer des II. Senats, theilte dort dem Präsidenten mit, daß um 1 Uhr Appell geschlagen werden und er daher, weil dabei große Bewegungen auf den Straßen entstehen möchten, gut thun würde, die Sitzung baldigst zu schließen, was denn auch sofort geschah. Von hier aus begab ich mich ferner in das Gesammtministerium im Schlosse, bat um eine Unterredung mit dem nunmehrigen Staatsminister Dr. Zschinsky und eröffnete ihm als meine offene Meinung: daß mit dem Glockenschlage 1 Uhr die Revolution in Dresden beginne, was auch der Minister Dr. Zschinsky selbst nicht in Zweifel zog. Auf meine Frage, ob er darauf vorbereitet und gerüstet sei? antwortete er in unverkennbarer großer Ruhe: „Ja!“ Hier mußte ich schweigen und mich entfernen, weil eine Deputation aus Leipzig, welche eben in der höchsten Niedergeschlagenheit vom Könige kam, eintrat. Ein darunter befindlicher alter Freund, Professor Erdmann, reichte mir im Vorbeigehen mit Thränen in den Augen die Hand. – Es verdient die höchste Bewunderung, daß der König jenen beispiellosen Grad von Festigkeit besessen hat, so vielen Bestürmungen um Anerkennung der Reichsverfassung zu widerstehen; ich meinesorts muß aber offen bekennen, daß, als die Frage einmal bis zur blutigen Lösung getrieben war,


  1. Appellationsgerichtssekretär Anton Clemens Kühnel.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/191&oldid=- (Version vom 13.8.2024)