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von den größeren deutschen Staaten ausgesprochen werde, in der Hauptsache einflußlos bleibe, sowie daß umgekehrt, wenn Sachsen jene Reichsverfassung nicht anerkenne, dies deren Giltigkeit für Deutschland, falls die größeren Staaten sich ihr unterwürfen, keinenfalls behindern könne, und dann zweitens, daß die in allen Kreisen, welcher Bildungsstufe oder politischen Richtung sie auch angehören mochten, sich damals ohne Ausnahme auf wahrhaft beispiellose Weise kundgebende Sympathie für diese Verfassung auch in den Augen des Staatsoberhauptes um so gewichtiger erscheinen müsse, je weniger eben hierbei eine bloße Parteibestrebung hervortrat und je indifferenter, wie mir dem Obigen nach schien, in Bezug auf den politischen Erfolg hinsichtlich der Neugestaltung Deutschlands das partielle Verhalten Sachsens bei dieser Angelegenheit sein konnte.

Mit einem Worte: ich hielt die Wirkung, welche die Nichtachtung jener Sympathie nothwendigerweise für den König haben mußte, für viel zu gefahrdrohend, als daß diese Gefahr durch die Wichtigkeit des politischen Erfolgs einer Nichtanerkennung der Reichsverfassung Seiten des Königs hätte aufgewogen werden können. Dazu gesellte sich, wie ich offen gestehen muß, die Besorgniß, daß die Unbeugsamkeit, welche man den Regenten Sachsens in entscheidenden politischen Momenten nachzusagen gewohnt ist, im vorliegendem Falle zu des Königs höchstem Unheile ausschlagen möchte. (Der Ausgang jener schrecklichen Epoche der Zweifel und Bekümmernisse hat gezeigt, wie groß mein Irrthum in jeder Hinsicht gewesen ist. Ich bekenne ihn offen und tröste mich dabei mit dem Glauben, daß es in Sachsen, eben außer dem Könige selbst, nicht leicht einen Menschen von Theilnahme an dem öffentlichen Leben geben wird, der sich nicht damals gleich mir geirrt hat. Leider sind aber jetzt nur wenige so ehrlich, dies zu gestehen.)

Was war also bei den Gefühlen der aufrichtigsten Verehrung und treuesten Anhänglichkeit gegen den König, sowie der innigsten Liebe zu meinem Vaterlande, die mich von Jugend auf beseelt haben, natürlicher, als daß ich Jemanden von Einfluß für meine damalige Ansicht zu gewinnen suchte! Ein Mann von der reinsten Ehrenhaftigkeit und genauer Bekanntschaft mit den Verhältnissen bei Hofe, an den ich mich deshalb wendete, bezeichnete mir den Generalmajor, jetzigen Generalleutnant und Oberstallmeister von Engel als denjenigen, auf welchen ich mein Augenmerk zu richten haben würde.

Zwar würde es in Zeiten des inneren Friedens als eine unverantwortliche Selbstüberhebung angesehen werden und auch in der That als eine solche angesehen werden müssen, wenn ein Mann von meiner untergeordneten, einflußlosen Stellung sich erdreisten wollte, ganz unaufgeforderter Weise mit Ansichten und Rathschlägen in Bezug auf die wichtigsten Staatsangelegenheiten hervorzutreten; allein die Gefahr wuchs damals von Stunde zu Stunde in so drohender Weise, daß der redliche Wille, seinem Könige und dem Vaterlande zu dienen, auch dann keine Zurückweisung zu gewarten hatte, wenn die Person hierzu einen an sich sonst unstatthaften Weg einschlug. Zudem erschien es mir als eine Pflicht jedes Patrioten, unbekümmert darum, ob es ihm selbst vielleicht sogar nachtheilig werden könne, überall mit Rath und That an die Hand zu gehen, besonders in Tagen wie jene waren, wo der, dem hierbei keine Verantwortlichkeit oblag, sich deshalb möglicherweise in einem Gemüthszustande befand, der ihm eine ruhigere Anschauung der Dinge gestattete als einem verpflichteten und verantwortlichen Rathgeber.

Da mich übrigens der General Engel auch persönlich sehr wohl kannte, so suchte ich ihn noch am nämlichen Tage, Montag den 30. April, Abends 6 Uhr, zuerst in seiner Wohnung und dann in der Ressource auf. Dort fand ich ihn und bei der ausführlichen Entwickelung meiner obigen Ansicht an ihm zugleich einen sehr aufmerksamen Zuhörer. Er versprach mir, hiervon den von mir sehnlichst gewünschten Gebrauch zu machen. Dies ermuthigte mich noch zu einem andern Wagniß. Ich beschwor ihn nämlich, da ich an dem baldigen Abgange wenigstens einzelner der Mitglieder des Ministerii Held keinen Augenblick zweifelte, den König zu bitten, daß er bei Bildung eines neuen Ministerii den Staatsminister a. D. von Carlowitz und den Geheimenrath Dr. Zschinsky zuziehen möge. Letztern schilderte ich ihm zugleich als einen Mann von ebenso unwandelbarer Treue als von unerschütterlicher Charakterfestigkeit. Ich konnte dies nach der langjährigen genauen Bekanntschaft mit dem Geheimenrathe Dr. Zschinsky und nach den unzähligen politischen Gesprächen, die zwischen uns stattgefunden hatten, mit gutem Gewissen thun. Der Herr von Carlowitz hat seine Betheiligung bei der Tags darauf auch wirklich eingetretenen Ministerkrisis abgelehnt. Die Ernennung des Geheimenrathes Dr. Zschinsky zum Justizminister und Ministerpräsidenten, welche am dritten Tage, dem 2. Mai, erfolgte, ist bekannt. Noch am Morgen des Tages vorher, ehe diese Ernennung stattgefunden hatte, also am 1. Mai, vertraute ich dem Geheimenrathe Dr. Zschinsky im Sitzungszimmer des I. Senats des Appellationsgerichts den ganzen Inhalt meiner am Abend vorher mit dem General Engel gepflogenen Unterredung an und sagte ihm in prophetischem Geiste vorher, „daß er morgen Minister sein werde“. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht!

In den Frühstunden des 1. Mai erfuhr ich ferner, daß der Vaterlandsverein durch Dr. Minckwitz

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/189&oldid=- (Version vom 13.8.2024)