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hätte das gedacht!“ Sie hatten nach allen Kräften beigetragen, den Karren, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, in den Koth hinein zu fahren, als er aber darinnen steckte, hatten sie weiter nichts als angsterfüllte Gesichter und jenen Wahlspruch alter Weiber, einen Rath aber oder Hände, um ihn wieder herauszuziehen, am allerwenigsten.

Ich könnte noch andere Züge, welche ein helles Licht auf die damaligen Zustände in Sachsen werfen würden, anführen, da sie aber ohne Einfluß auf die Geschicke Sachsens im Allgemeinen sind und nur den Erfolg haben könnten, die betheiligten Personen zu kompromittiren, so mögen sie bei allem Interesse, welches sie darbieten, lieber verschwiegen bleiben.

Während des Unverstandslandtags besuchte ich häufig am Abende die Haage’sche [?] Bierwirthschaft in Neustadt, wo gewöhnlich zwei der leidenschaftlichsten Demokraten, Dr. Minckwitz[1] und von Gregori[2], anwesend waren. Am Sonntag, den 29. April 1849, war Nachts 12 Uhr der von Gregori noch daselbst zugegen. Als es eben Mitternacht schlug, bemerkte letzterer in einem hingeworfenen Tone, daß soeben „etwas passire.“ Auf meine anscheinend indifferente Frage: „Nun, was denn?“ antwortete Gregori folgendes: „Gestern wollte doch die Regierung die Kammern durch Dekret auflösen“ – das diesfallsige Dekret ist allerdings vom 28. April 1849 – „und übersendete solches den Präsidien, um dasselbe durch Vorlesung zur Kenntniß der Kammern zu bringen. Allein, da nach der Verfassungsurkunde der König die Kammern in Person oder durch einen Kommissar zu entlassen hat, worunter auch die Auflösung derselben zu verstehen ist“ – in § 117 der Verfassungsurkunde ist dies in Bezug auf die Entlassung der Ständeversammlung allerdings bestimmt und in dem provisorischen Gesetze wegen einiger Abänderungen der Verfassungsurkunde, vom 15. November 1848, auch hierunter nichts geändert – „so haben die Präsidien jenes Auflösungsdekret nicht anders als durch einen bevollmächtigten Kommissar annehmen zu wollen erklärt, und es wird daher die wirkliche Auflösung der Kammern erst morgen – Montag den 30. April – durch einen Kommissar in Vollzug gesetzt werden. Die Motive hierzu liegt weniger in der Solvirung dieser Förmlichkeit, als in dem Verlangen, Zeit zu gewinnen. Da nämlich die Regierung den Ständen den Vorwurf gemacht, daß die wichtigsten Angelegenheiten von denselben unerledigt gelassen worden seien, und dies hauptsächlich als Beweggrund zu ihrer Auflösung gelten soll, so versammeln sich in diesem Augenblicke, Sonntags Nachts 12 Uhr, wo der erste Wochentag wieder beginnt, die Kammern, um noch mehrere bereits ihrem Ende nahegebrachte Geschäfte vollends abzuthun und dadurch Gelegenheit zu erhalten, den Vorwurf der Regierung abzuwenden oder wenigstens zu entkräften.“

In einer Zeit wie der damaligen, wo die Demokratie sich alles erlaubte, was ihren Zwecken diente, war auch eine solche eigenmächtige Kammerversammlung nicht im Entferntesten zu bezweifeln, und ich beschloß daher augenblicklich, den vorsitzenden Staatsminister Dr. Held hiervon zu benachrichtigen, um der Regierung Gelegenheit zu geben, sich auf jenes Maneuvre gefaßt zu machen. Ihn in der Nacht wecken zu lassen, erschien mir um des unvermeidlichen Aufsehens willen nicht rathsam, ich ging daher am folgenden Morgen um 5 Uhr zu ihm, konnte aber erst nach 7 Uhr vorkommen. Der damalige Staatsminister Dr. Held hörte mich aufmerksam an und dankte mir für meine Aufmerksamkeit. Später hat derselbe zwar, als er in den Maitagen auf dem Bade wohnte, gegen meine Frau gesprächsweise die Aeußerung fallen lassen, daß er schon vor meinem Erscheinen bei ihm von jenem Unternehmen der Kammern Kenntniß gehabt, allein, um mich nicht zu enttäuschen, hierüber geschwiegen habe. Indeß möchte ich an jener Angabe doch zweifeln, weil ich mir wenigstens dann das passive Verhalten der Regierung, einer solchen nächtlichen illegalen Kammerberathung gegenüber, nicht würde erklären können.

Es war nunmehr die verhängnißvolle Zeit angebrochen, wo die Annahme oder Nichtannahme der deutschen Reichsverfassung, wie solche aus dem Schooße der Frankfurter Nationalversammlung hervorgegangen, unter andern auch über die nächsten Geschicke Sachsens entscheiden sollte.

So genau ich auch die Pläne der Demokratie kannte, so gut ich selbst wußte, daß jedes derselben gemachte Zugeständniß, statt eine Versöhnung anzubahnen, von ihr nur als Schwäche angesehen und in dieser Richtung benutzt wurde, – daher ich, unter andern, sofort nach erfolgter Anerkennung der Grundrechte in Sachsen gegen meinen Kollegen Kühnel die Ueberzeugung aussprach, daß damit, wie auch der Erfolg bewies, das Ministerium Held sich den Todesstoß versetzt habe, – so konnte ich doch, auch bei der reiflichsten und gewissenhaftesten Prüfung aller Umstände, mich der Ansicht nicht erwehren, daß die Nichtanerkennung der Frankfurter Reichsverfassung Sachsen in größeres Unglück stürzen werde, als ein solches aus deren Anerkennung Seiten der sächsischen Regierung zu besorgen stehe.

Ich wurde hierbei von der Ansicht geleitet, einmal daß die Anerkennung derselben, wenn solche nicht auch


  1. Dr. Eduard Minckwitz, Advokat und unbesoldeter Stadtrath, gestorben 1886.
  2. Rechtskandidat Fr. Herm. von Gregory.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/188&oldid=- (Version vom 13.8.2024)