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Maitagen aber war es dem treuen Manne vorbehalten, sich ein Verdienst von geschichtlicher Bedeutung um seinen König zu erwerben. Bereits am 30. April sprach er die Ueberzeugung aus, daß noch im Laufe der Woche die Revolution ausbrechen und der König genöthigt sein werde, die Stadt zu verlassen, und faßte schon damals den Plan, dafür zu sorgen, daß ihm für diesen Zweck ein Dampfschiff zur Verfügung stehe.

Nach dem Sturme auf das Zeughaus am Nachmittage des 3. Mai machte er sich ans Werk und brachte das einzige vorhandene Dampfschiff auf das Neustädter Ufer hinüber in Sicherheit. Abends sandte er den Gouvernementsadjutanten Vitzthum von Eckstädt zum General von Engel und ließ diesen ersuchen, dem Könige von der Bereitstellung des Dampfschiffs Mittheilung zu machen und ihm zu empfehlen, die Reise nach dem Königstein noch in der Nacht anzutreten. „Der König zögerte bis zum Anbruch des Tages; erst als die Minister am 4. Mai um 3 Uhr morgens mit der Meldung erschienen, daß ein baldiges Eintreffen der [aus Leipzig und Chemnitz beorderten] Truppen nicht zu hoffen sei, verließ der König eine halbe Stunde später mit seiner Gemahlin, gefolgt von den drei Ministern, dem Oberstallmeister und dem Adjutanten Reichard zu Fuß das Schloß und gelangte ungehindert über die Elbbrücke, die Klostergasse, das Wiesen- und Wasserthor bis an den Koselschen Garten, wo das Dampfschiff „Friedrich August“ zur Fahrt nach Königstein in Bereitschaft gehalten war“[1]. Die Flucht ging glücklich von statten, den Namen dessen, der allein sie durch rechtzeitige Vorsorge ermöglichte und damit die naheliegende Gefahr einer entwürdigenden Gefangenschaft des Königs beseitigte, hat die Geschichte bisher nicht gemeldet.[2]

Es war noch keine lange Zeit seit der Niederwerfung des Aufstandes verflossen, da mußte Fritzsche aus der ihm zu Theil werdenden Mißgunst entnehmen, wie gefährlich es für ein untergeordnetes Glied des Beamtenkörpers werden kann, sich außerhalb der Rangordnung Verdienste zu erwerben. Er glaubte es daher seinem Namen und seiner Familie schuldig zu sein, für die Zukunft die Wahrheit über sein politisches Wirken festzustellen, und faßte Ende 1851 einen zusammenhängenden Bericht darüber ab. Aber dieser hatte ein eignes Schicksal. Im Jahre 1857 lieh Fritzsche die aus acht Foliobogen bestehende Handschrift einem hochgestellten Manne auf dessen Wunsch zum Durchlesen, schon am nächsten Tage erhielt er sie mit Dank zurück, jedoch – der sechste Bogen fehlte! Es war der Theil, worin er geschildert hatte, welche unsäglichen Mühen und Aufregungen es ihn gekostet, das rettende Dampfschiff zu sichern und über dessen Benutzung mit dem Hofe zu einer Verständigung zu gelangen. Auf seine Rückforderung erhielt er die kühl abweisende Antwort, der Bogen sei verloren und nicht mehr aufzufinden. Und als er 1872 den Bericht nochmals überarbeitet und ergänzt hatte, verschwand auch diese Niederschrift, bevor sie in die Hände gelangte, für die sie bestimmt war. Einflußreiche Personen, deren beste Tugend in den Tagen der Gefahr die Vorsicht gewesen war, konnten es dem einfachen Manne nicht verzeihen, daß er sie damals an Königstreue und Opferfreudigkeit übertroffen hatte. Seine That nicht nur, auch ihn selbst wollten sie der Vergessenheit überliefert wissen: jedes Vorwärtskommen blieb ihm abgeschnitten – dieselbe Stelle, die ihm 1835 übertragen worden war, hatte er noch inne, als er 1872 in den „Ruhestand“ trat. Aufgerieben von der bittern Noth des Lebens starb er am 18. August 1873. Die einzigen Lichtblicke in langer trüber Zeit waren ihm die Beweise persönlichen Wohlwollens und dankbarer Zuneigung gewesen, die er vom König Johann und den königlichen Prinzen erfahren hatte. Möge die gegenwärtige Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen dem Andenken des trefflichen Patrioten zur Ehre gereichen.


Da es möglich wäre, daß in späterer Zeit es für die Meinigen von Interesse sein könnte, die wesentlichsten Momente meiner Theilnahme an den politischen Ereignissen während der Jahre 1848 und 1849, soweit dieselben zunächst mein Vaterland Sachsen oder auch dessen Hauptstadt Dresden betrafen, einer gänzlichen Vergessenheit entzogen zu sehen, so habe ich alle hier einschlagenden Ereignisse der strengsten Wahrheit gemäß, darum aber auch mit ausdrücklicher Namhaftmachung derjenigen Personen, zu denen ich dabei in nähere Beziehungen treten mußte, und noch zu einer Zeit, wo mein Gedächtniß ein treuer Repetent für jene Erlebnisse war, andrerseits aber auch keine Gefühlserregung mich mehr behinderte, das Erlebte mit der vollkommensten Ruhe zu überschauen und zu beurtheilen, in einzelnen geschäftsfreien Stunden niedergeschrieben.

Ich scheue mich nicht zu gestehen, daß auch mich ein begeisterndes Gefühl erfaßte, als nach der französischen Februar-Revolution des Jahres 1848 Deutschland – was man nämlich damals unter diesem Namen zu begreifen gewohnt war, – aus seinem todtenähnlichen Schlummer erwachte, als eine neue, nie gekannte Welt sich vor dem erstaunten, eines solchen Tageslichts noch ungewohnten Auge aufthat und als es den Anschein


  1. P. Hassel, Aus dem Leben des Königs Albert, I S. 121.
  2. A. von Montbé, der Maiaufstand in Dresden, S. 91, berichtet, das Dampfschiff habe „auf Befehl der Regierung“ (!) bereitgestanden.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 2 (1897 bis 1900). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1897 bis 1900, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Zweiter_Band.pdf/182&oldid=- (Version vom 10.8.2024)