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XIV. Jahrgang          1905          Nr. 1.


Von diesen Blättern erscheinen jährlich 4 Nummern im Umfange von 1½ bis 3 Bogen. Bestellpreis für den Jahrgang
3 Mark. Die Vereinsmitglieder erhalten die Blätter unentgeltlich zugesandt.


Der Altmarkt als geschichtlicher Schauplatz.
Von Dr. Georg Beutel.

Wer heute über den Altmarkt schreitet und, eine Weile stillstehend, seine Augen den weiten Platz entlang schweifen läßt, der sieht und fühlt sich inmitten eines rasch flutenden neuzeitlich großstädtischen Lebens und eines ins Große gesteigerten geschäftlichen Treibens. Drei bis oben hinauf vollgefüllte Warenhäuser und ringsum Haus für Haus Kaufläden und Geschäftsräume, die aus den Erdgeschossen auch in die oberen Geschosse steigen und die Wohnungen verdrängen, zwei stattliche Bankhäuser, von denen das eine als Sitz einer in Auflösung befindlichen Anstalt auch die Kehrseite modernen Geschäftslebens darstellt, dann ein durch drei Häuser durchgehendes Café, das Tag und Nacht dem Vergnügen offen steht, ferner zum Zeichen, daß die Kunst heute nicht bloß nach Brot sondern auch zu Markte geht, ein Kunstsalon! An den vier bis fünfstöckigen Häuserreihen hin erstrecken sich vier breite Fahrstraßen, von dem rastlos wogenden Verkehr vollständig bedeckt; von ihnen umschlossen, einer Insel gleich, liegt in blanker Sauberkeit der freie Innenraum des Marktes da, beherrscht von der Germania, und seitlich eingefaßt von zwei mächtigen Kandelabern, mit denen die Bogenlampen über den Fahrstraßen und die Beleuchtungen der Warenhäuser und Läden wetteifern, um den Markt auch bei Nachtzeit in Tageshelle zu tauchen. Und wenn dann des stillen Beobachters Blick an den Häusern hingleitet, an den alten Häusern, in denen, Vergangenheit und Gegenwart vermählend, das neue Leben sich ein gerichtet hat, an den alten Häusern, die schon Zeiten gesehen haben, in denen kein heutiger Mensch lebte, das Bild des Marktes empor, wie er früher wohl war, und des Lebens, das ihn einst erfüllte. Da standen unter den stattlichen Häusern, den stattlichsten der Stadt, in denen auch die vornehmsten Bürger und manche Adelige wohnten, die vier Hauptgasthöfe – denn auch der hervorragende fremde wollte am Markte wohnen, der damals noch in höherem Maße der Brennpunkt des freilich kleineren Verkehrs war; die ältesten Apotheken waren gleichfalls hier angesiedelt – und sie allein sind geblieben. Auch der Handel fand hier seinen Mittel- punkt, aber es war Kleinhandel, der seine Waren auf den Verkaufsständen vor den Häusern unter kleinen Schutzdächern auslegte. Der Platz war nicht gegliedert in Fahrstraßen und freien Innenraum: ungehindert über den ganzen Platz zu Fuß und zu Wagen ging der Verkehr, der besonderer Ordnung noch nicht bedurfte. Eine Reinigung erfuhr der Platz nur vor Festlichkeiten – 12 Mann mußten dann drei Tage arbeiten; und abends lag er in Dunkelheit, nur die Lichter von Handlaternen huschten darüber hinweg. Den Platz beherrschte das frei daraufstehende Rathaus, und von den Eckhäusern schauten als Zeugen eines frommen kirchlichen Sinnes Heiligenbilder herab: ein Gleichnis, wie Obrigkeit und Kirche Leben und Gemüter vormals ganz anders als gegenwärtig regierten. Ein anderes Gesicht als heute hat der Markt ehemals gehabt, so wie das Leben ein anderes war, das auf ihm sich abspielte. Und dennoch, damals wie heute, war und ist der Marktplatz nicht nur der örtliche Mittelpunkt der Stadt, sondern der Mittelpunkt ihres Lebens und allezeit ein getreuer Spiegel ihrer Geschichte und Entwickelung; ja sehr oft im Laufe ihrer Geschichte war

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/4&oldid=- (Version vom 26.8.2024)