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So schienen die Bedingungen zu einer gedeihlichen Weiterbildung des Goldschmiedsohnes erfüllt zu sein: durch seinen großen Fleiß konnte er bei dem berühmten Meister wohl tüchtige Fortschritte machen. Aber die Kosten waren hoch, und Vater Severin erklärte sich „ganz unvermöglich“, seinem Sohne eine so bedeutende Geldunterstützung zu gewähren. Deshalb wandte sich der Jüngling Anfang Dezember 1604 unter treuherzigen Versprechungen nochmals an seinen gütigen Landesfürsten, um ein Viatikum zu seiner Reise nach Prag zu erhalten[1]. Da er sonderbarerweise Mitte Januar 1605 noch keine Antwort von Christian II. erhalten hatte, scheinen sich die Verhandlungen mit dem kaiserlichen Hofmaler zerschlagen zu haben, sei es nun, daß letzterer sie infolge der Verzögerung abgebrochen hat oder daß der Bittsteller wegen der Höhe der Kosten von seinem Plane absehen zu müssen glaubte. Wenigstens schreibt er am 19. Januar genannten Jahres, indem er um einen „Verlag“ von „anderthalb hundert“ Talern nachsucht: mit diesem Gelde wolle er sich aufmachen und sehen, „wo er einen geschickten Maler finde“[2]. Endlich ward seiner Bitte auch die ersehnte Erhörung zu teil: Christian gewährte ihm ein Weggeld von 200 Talern und ließ ihn jetzt selbst ermahnen, „anderer Orten der Architektur (soll heißen: des Architekturzeichnens) sich zu befleißigen“, mit dem Befehl, bei seiner Rückkunft sich wieder am Hofe anzumelden.

Zu dieser befriedigenden Erledigung der Angelegenheit trug wohl folgender Umstand wesentlich bei: Zwischen der Krone Böhmen und dem Markgrafentum Meißen waren schon 1537 Grenzstreitigkeiten ausgebrochen, besonders wegen einer Strecke im Amte Frauenstein, die davon den Namen „Kriegsstück“ erhalten hatte. Kurfürst Christian II. entsandte zur Beilegung des Streites den Wittenberger Mathematikprofessor Dr. Melchior Jöstel und den bekannten Markscheider Matthias Öder mit dem Auftrage, die in Frage stehenden böhmischen Grenzen abzumessen. Die Ausmessung des Kriegsstückes geschah im Juni 1604. Vogel, seine unfreiwillige Muße benutzend, hielt sich die ganze Zeit über am Untersuchungsorte bei Jöstel auf und wurde auf diese Weise des geometrischen Abmessens kundig. Er fertigte noch in demselben Jahre, während seiner Unterhandlungen mit dem Prager Maler, einen „gezwiefachen Abriß“ dieser streitigen Landesgrenze und reichte diesen seinem Fürsten ein – wie er selbst schreibt, zum Beweise dafür, daß er sich „nun eine geraume Zeit her im Reißen bestes Fleißes geübt“ und dadurch „hoffentlich vor andern einen besonderen Vorsprung und großen Vorteil zur Malerkunst habe“[3]. Christian beauftragte ihn jetzt, noch etliche, nicht näher bestimmte Zeichnungen solcher streitigen Grenzstücke zu verfertigen. Diese Risse kamen dem gelehrten Kaiser Rudolf II. zu Händen und hatten zur Folge, daß durch sie, neben richtiger Ausmessung der Grenzen, die Irrungen erörtert und beigelegt wurden[4]. So hatte der junge Vogel sich schon im Jahre 1604 ein gewisses Verdienst um sein Vaterland erworben, und zwar gerade auf dem Gebiete der perspektivischen Zeichnung, das er später mit so großem Erfolge pflegte.

Nun wanderte der Jüngling in die Fremde, und wir erfahren für eine Reihe von Jahren gar nichts von ihm und über ihn. Wir kennen seinen Lehrmeister in der Malerei nicht; denn es erscheint, wie schon oben ausgeführt wurde, zweifelhaft, ob er den Unterricht des berühmten Prager Hofmalers genossen hat. Ja, wir wissen nicht einmal genauer, welche Länder er bereiste. Er selbst drückt sich darüber gelegentlich ganz allgemein aus: er habe „an anderen Orten, sonderlich in Italia“ seine Kunst geübt[5]. Sein hauptsächlichster Lehrer dabei war, nach seinen Andeutungen zu schließen, gar nicht ein lebender, sondern einer, der schon Jahrhunderte lang in der kühlen Erde schlummerte: der klassische Architekt Marcus Vitruvius Pollio. Aus dessen weitverbreitetem Werke „De architectura“, das 120 Jahre früher zu

erst in Rom gedruckt worden war[6], lernte er besonders, daß ein „rechter Architectus“ zugleich ein „Arithmeticus und Geometricus, auch in der perspectiva und im Malen wohl erfahren und geübt sein müsse“. Dieser Stücke hatte er sich ja gerade „von Jugend an“ beflissen und setzte jetzt seine Studien namentlich in Italien mit solchem Erfolge fort, daß ihm angeboten wurde, daselbst zu bleiben, und ihm der nötige Unterhalt in Aussicht gestellt wurde von einer uns unbekannten Seite. Er empfand aber die moralische Nötigung, der früher eingegangenen Verpflichtung gemäß seine Kunst dem heimischen Fürsten allein vorzubehalten. So kehrte er


  1. H.-St.-A. Loc. 7317 a. a. O. (s. Anm. 9).
  2. Ebenda Bl. 236.
  3. H.-St.-A. Loc. 7317 a. a. O. Bl. 237.
  4. H.-St.-A. Loc. 7327 Cammer Sachen Anno 1621 Bl. 22.– Im Kgl. H.-St.-A. (Rißschrank I Fach 13 Nr. 1 und 2 und F Fach 13. Nr. 28) befinden sich drei Darstellungen des Kriegsstücks vom Jahre 1604, zwei schwarze und eine ausgemalte. Zwei davon, nämlich die bunte (Nr. 1) und die eine schwarze (Nr. 28), stimmen vollständig überein, während die dritte (Nr. 2) in Einzelheiten abweicht. Alle drei sind von Jöstel und Öder signiert; die beiden farblosen zeigen – offenbar von derselben (vielleicht einer späteren) Hand – auch die Namen der Zeichner. Es sind die Maler Hans Richter in Freiberg (Nr. 2; vgl. über diesen Künstler Mitt. des Freib. Altertumsver. 34. Heft: 1897, S. 19, 20, 48) und Lorenz Dittrich (Nr. 28). Auf der bunten ist kein Malername angegeben. Ich möchte die Vermutung aussprechen, daß diese Karte das eben besprochene Werk Vogels ist; es wäre dann das erste uns erhaltene, freilich künstlerisch nicht besonders wertvoll.
  5. Die folgende Ausführung nach H.-St.-A. Loc. 7327 Cammer Sachen Anno 1621 Bl. 22.
  6. Die Ed. pr. erschien Rom. 1486. fol.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/17&oldid=- (Version vom 19.12.2024)