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starken Krachen, als ob es im Dorfe selbst wäre, auf das Dach, schlug dieses und das Gewölbe durch und setzte die Kirche in Brand, deren vieles Holzwerk bis in die späte Nacht, wie man sich einen entzündeten Vulkan denken kann, flammen und Dampf aus dem wie ein Berg hervorragenden, ansehnlichen Gebäude in die Höhe trieb und einen horriblen, mir unvergeßlichen Anblick gewährte. Folgenden Sonntags abends gegen 9 Uhr sahen wir auch die mir so liebe Annenkirche im Feuer stehen, welche jedoch nicht das Bombardement erreichte, sondern nebst der Schule und Pastoratwohnung angezündet worden war.

Der Rücken des Preußischen Lagers reichte bis an das Dorf, in welches Tag und Nacht Soldaten kamen, um Wasser zu holen und die Pferde zu tränken, wo es denn nun freilich sehr laut zuging. Sonst taten sie den Einwohnern wenig zu leide, außer daß sie fast alle Planken und Zäune wegholeten, auch einst das alte, mitten im Dorfe ganz frei stehende Gemeindehaus durch vorgespannete Pferde an die Ecksäulen auseinanderrissen, daß es zusammenfallen mußte. Dieses Lager kam besonders uns Erulanten sehr zu statten, da wir alles benötigte Brot und Fleisch um leidlichen Preis hier kaufen konnten.

Wir waren ohngefähr eine Woche hier, als wir eines Morgens das ganze Lager geräumt und außer einigen abgemärschelten Pferden, vielerlei Holzwerk und Stroh, feine lebendige Seele mehr fanden. Kaum hatten wir angefangen, wegen der nun aufgehobenen Belagerung ruhiger zu werden, als am dritten Tage ein Kommando preußische Soldaten alle Häuser durchsuchten, besonders die fremden, unter denen einige sich als Spione hätten gebrauchen lassen, scharf examinierten, deren auch zwen, die ihnen verdächtig schienen, mitnahmen, allen aber andeuteten, noch diesen Tages das Dorf zu verlassen, widrigenfalls letzteres in Brand gesteckt werden sollte.

Unser freundlicher Wirt war selbst hierüber ganz außer sich und weinte, nebst den Seinigen, die bittersten Tränen beim Abschiede. Er gab uns den Rat, in das ¾ Stunden entfernte Dorf Kaitz uns zu wenden, von den sogenannten Kazenhäusern einige leer stünden, und wenn wir auch da nicht unterkämen, gerades Weges wieder zu ihm zu kommen. „Ich hoffe“ setzte er hinzu – „es wird sich wohl legen und keine Gefahr haben.“ Mich hob er in die Höhe, küßte mich recht herzlich und gab mir ein ledernes Beutelchen, in welchem sich vier kleine, nicht furante Silbermünzen, einige Groschen am Werte, befanden, die ich bis ist aufgehoben habe, und sagte: „Da hast Du was zum Andenken, guter Junge, weil Du so hübsch Schule gehalten hast“. Es mochte ihm gefallen haben, daß ich alle seine Bücher durchrevidierte und wir Kinder uns abends im Lesen übten, in welchem sie noch zurück waren, ich auch ihnen verschiedene mir geläufige Sprüche vorsprach, die sie ziemlich faßten, worin sie noch ganz ungeübt schienen.

Sobald wir vorgeschlagenermaßen nach Kaitz kamen, meldeten wir uns beim Richter, welcher auch keine Umstände machte, uns von den gedachten Häusern das vorlegte einzuräumen, dessen Besitzer beide binnen fünf Tagen weggestorben und die Kinder anderswo untergebracht worden waren. Es enthielt eine Ober- und Unterstube, in jeder einen Tisch und Spanbette, einige Wandbänke und Schemel. Der Bettstellen jedoch uns zu bedienen, wagten wir nicht. Sogleich folgenden Morgens eilte mein Vater nach Dresden, um zu sehen, wie es mit der Brandstelle und den Sachen im Keller stehe. Er fand mehrere Hausleute bereits seit einigen Tagen beschäftigt, doch erst am vierten Tage seiner Anwesenheit hatte man endlich vor dem sehr vielen Schutte des hohen Hauses und der schwer zu dämpfenden Hitze soweit kommen können, den Keller zu öffnen, wo zwar alles glücklich erhalten worden, jedoch was die Wände berührt hatte, versengt und kohligt worden war. Auf einem geliehenen Schiebebocke brachte er des Abends Lade und Betten ganz unversehrt nach Kaitz.

Mittlerweile hatte meine Pflegemutter Gelegenheit gefunden, ihrem Vater Nachricht von unserm Befinden und Aufenthalte zukommen zu lassen, und sogleich des folgenden Tages, als wir unser gerettetes Eigentum wieder erlangt hatten, kam ihr leiblicher Bryder an, um uns und unsere Sachen nach Kreischa zu holen. Hier lebten wir nun freilich bequemer und ruhiger, und der gutgesinnte Großvater behandelte uns mit aller Willfährigkeit und Herzlichkeit, allein die Großmutter, die ihrer Stieftochter ohnehin nie günstig gewesen war, ließ es uns bei jeder Gelegenheit merken und selbst fühlen, wie läftig ihr diese Gäste waren, „die nur verzehrten, aber nichts verdienten“, ohnerachtet meine Mutter allen Fleiß anwandte, um keinen Bissen Brot umsonst zu genießen.

Am meisten war ich Müssiggänger ihr im Wege, um so mehr, da der Stiefgroßvater mich gut leiden konnte und ich bei ihm mich zu insinuieren (einzuschmarozen nannte sie es) wußte. Wenn sie mir zuweilen des Nörgelns und Brömmelns zuviel machte, retirierte ich mich zum Herrn Schulmeister Meinelt, der mich ebenfalls lieb gewann, mich bedauerte, wenn ich ihm von meinen bereits erlebten Geschichten etwas vorerzählte, Karl und Jettchen staunend zuhörten und der Vater mitunter den aufgestemmten Arm auf den Tisch fallen ließ und sagte: „Nun, da seh mir eins einmal!“ Karl, ohngefähr meines Alters, spielte mir fleißig etwas vor, und um zu zeigen, was er in der Musik schon alles begriffen habe, suchte er mit rechter Anstrengung mir Begriffe Don Klavier, Geige und Noten beizubringen. Entweder fehlte es mir an Fassungskraft oder ihm an Belehrungsgabe

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/166&oldid=- (Version vom 3.9.2024)