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5) Samstag. Heute war es nicht mehr möglich, in die innere Stadt zu kommen. Wenigstens konnte einem Niemand dafür stehen, daß man an den Barrikaden nicht festgehalten und weder vor noch rückwärts gelassen wurde. So mußte ich denn die Galerie aufgeben. Carl war innerlich beunruhigt und gelähmt durch seine Unthätigkeit und in Zweifel, ob seine Pflicht nicht dennoch ihn auf den früher eingenommenen Posten rufe. Er sucht Prof. Francke auf und, da dieser auch der Meinung ist, daß das polytechnische Korps noch einen Versuch machen solle, in neutraler Stellung die Post zu besetzen und zu schützen, so zieht er mit diesem und vielen Kameraden wieder dahin zur Ablösung der Abtheilung, die seit 24 Stunden die Post besetzt hielt. Das geschah nach Tisch. Ich hielt mich zu Haus oder auf der Straße auf. Nach und nach bildete sich eine Sicherheitswache. Nämlich mehrere Männer unserer Straße und Stadtgegend stellten sich da, wo die Josephinen- und Dippoldiswaldergasse in die große Plauensche einmünden (also dicht an unserm Hause)[1], mit Seitengewehr bewaffnet auf, um etwaigen Ruhestörungen durch Gesindel zu begegnen. Blochmann[2] ließ Tisch und Stühle auf die Straße bringen und bewirthete mit Bier. Wenn ich nicht irre, war es heute[3], da das Opernhaus brannte und die ungeheure Flamme gen Himmel stieg. Als ich mit etwa einem Dutzend anderer Leute vom Belvedere unseres Hauses aus den Brand beobachtete, sauste eine Kugel dicht über unsere Köpfe hin, die wohl vom Zwingerwall aus zu uns entsendet wurde. Natürlich verließen wir alsbald den gefährlichen Posten. Die Aufregung nahm immer mehr zu. Wir waren bis jetzt sämmtlich der Meinung, die Reichsverfassung hätte angenommen werden sollen. Wir wußten, daß unser Nachbar, Geheimrath Weinlig, früherer Minister und jetzt Mitglied der Sicherheitswache, auch der Meinung war. Jedoch konnte der Aufstand an sich um so weniger unsere Billigung haben, als immer bedenklichere Elemente darin hervortraten und die Rothen immer zahlreicher und drohender wurden.

Julius Schnorr von Carolsfeld.

6) Sonntag. Seit gestern bleiben sich die Zustände ziemlich gleich. Es ist nichts Sicheres zu erfahren. Offenbar macht das Militär keine Fortschritte. Allerlei Gerüchte tauchen auf. Man hört, daß die Preußen erwartet werden; man sagt, die sächsischen Soldaten seien großentheils zu den Aufständischen übergegangen; bald spricht man von Reichstruppen, welche zur Aufrechthaltung der vom Volk begehrten Reichsverfassung herbeieilen. Ich komme nicht vom Hause weg. Gegen Mittag kommt Carl mit seiner Abtheilung und dem Prof. Francke an der Spitze halb entwaffnet von seinem Posten zurück. Die Aufständischen litten die neutrale Besetzung der Post nicht mehr. Unter denen, welche die Polytechniker zur Offensive gegen das Militär drängen wollten, befand sich auch Prof. an der Spitze einer Abtheilung Sensenmänner. Als die Polytechniker sich weigerten, gegen das Militär zu kämpfen, wurden sie aufgefordert, ihre Gewehre abzugeben und abzuziehen. So kamen sie nur mit dem Seitengewehr nach Hause zurück. Wir waren froh, daß wir den Carl wieder hatten. Als Ludwig[4] unser Haus verließ, um in ein Nachbarhaus zu gehen, wurde er von einem Proletarier aufgegriffen und wurde von ihm verlangt, daß er Steine zum Barrikadenbau beischleppen sollte. Glücklicherweise war ein wohlgesinnterer Mensch zur Seite, der den Knaben befreite.

7) Montag. Ottilie[5] mit ihrer Tochter Minna und auch meine Mutter[6] begeben sich zu uns. Man


  1. Schnorr wohnte in dem jetzt mit Nr. 21 bezeichneten Hause.
  2. Schnorrs Schwager, Direktor der von ihm begründeten, in den Räumen des Vitzthumschen Gymnasiums untergebrachten Erziehungsanstalt.
  3. Der Brand des Opernhauses trug sich am 6. Mai zu. Die Stelle zeigt, daß das Tagebuch anfänglich nicht völlig gleichzeitig mit den Ereignissen niedergeschrieben wurde.
  4. Schnorrs zweiter Sohn, der 1836 geborene, 1865 verstorbene Opernsänger.
  5. Schnorrs Schwester, Blochmanns Gattin.
  6. Schnorrs Stiefmutter, die im Blochmannschen Hause wohnte.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/178&oldid=- (Version vom 18.5.2024)