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Richter im Dezember 1670 als Magister in die dortige philosophische Fakultät eindisputirte, und ein handschriftlicher Glückwunsch des hiesigen Tertius M. Joh. Frenzel zur Erwerbung der neuen Würde an ihn. Zu seiner „unverhofften, doch hoffentlich glücklich-getroffenen Heyrath“ am 14. Juli 1696 singen ihm einige „vornehme schwägerliche Freunde und Gönner“ die üblichen Hochzeitscarmina. Es findet sich weiter ein gedrucktes, eigenthümlicher Weise erst am 6. September 1716, also sieben Jahre nach seinem Abgang von Zahna ausgestelltes Zeugniß von Bürgermeister und Rath daselbst, das sich in sehr ehrenden Ausdrücken über seine frühere Wirksamkeit an der dortigen Kirche mit ihren zwei Filialen und als zweimaliger Verwalter der erledigten Superintendentur verbreitet. Auch mag eine höchst originelle und wahrscheinlich nur in diesem Exemplare erhaltene kleine Druckschrift noch besonders erwähnt sein. Als nämlich Richter seinen 77. Geburtstag feierte (22. Dezember 1722), widmete ihm sein kurz zuvor angetretener Substitut M. Georg Barthold[1] ein Gedicht in Alexandrinern, in welchem er das nicht ganz mit Unrecht so bezeichnete „Paradoxum morale“ zu erweisen suchte, „daß eines ministri ecclesiae senioris langes Leben dessen substituto sehr nützlich sei“, dieser also keineswegs, wie die böse Welt behaupte, nur auf den Tod des ersteren lauere.

Schließlich aber würde dies Alles uns noch keinen hinreichend begründeten Anlaß zu einer besonderen Behandlung an dieser Stelle gewähren, wenn nicht die Sammlung noch einen nach Inhalt und Form ganz eigenartigen Bestandtheil in sich schlösse, dessen vollständige Mittheilung hier wohl gestattet sein und auch die obigen Vorbemerkungen rechtfertigen mag.

Richter hat nämlich seinen Lebensgang bis ins achtzigste Jahr in der Weise niedergeschrieben, daß er jedem Jahre zwei kurze Verszeilen widmete. Es handelt sich nun dabei freilich meist um sehr einfache Begebenheiten, so einfach, daß es uns zuweilen wundernehmen will, wie er für so manches Jahr gerade diejenige, die er anführt, und keine andere innerhalb des eng gefaßten Rahmens seiner Darstellung der Verewigung für werth erachtete. Schon so bietet es aber einiges Interesse, einmal einen genaueren Einblick in die Lebensführung einer Persönlichkeit aus solcher Sphäre mit all ihren kleinen Freuden und Leiden zu gewinnen. Und dabei kommt doch auch Manches zur Erwähnung, was immerhin etwas höhere Bedeutung beanspruchen darf. Wir sehen auf seiner frühesten Jugend all das Elend des ausgehenden dreißigjährigen Krieges lasten, sehen ihn dann nach Vollendung des Studiums sich ein volles Vierteljahrhundert lang als Kandidaten kümmerlich durch die Welt schlagen, bis er endlich in den ersehnten Hafen einer geistlichen Anstellung und damit auch einer eigenen Häuslichkeit einlief;[2] wir sehen auch hier, in wie enger Beziehung zuweilen Pfarre und „Knarre“ zu einander standen und wie bedenkliche Zumuthungen in letzterer Hinsicht wohl hier und da an Bewerber um erledigte Aemter gestellt werden mochten. Selbst der Umstand ist in seiner Art ganz interessant, daß die große Türkengefahr des Jahres 1683 indirekt auf die Schicksale des Kandidaten einwirkte und ihn zur Aufgabe einer anscheinend recht aussichtsvollen Position in Annaberg veranlaßte. Und zu alledem kommt die Form der Darstellung mit ihrer geradezu köstlichen Naivetät.

Doch genug der Worte: lassen wir unsern Helden selbst sprechen! Höchstens sei noch bemerkt, daß auch die Anmerkungen zu dem Poem, soweit sie nicht in Klammern eingeschlossen sind, von ihm selbst herrühren.

Accidentale und fatale Lebens-Schicksale.

Anno 1645.
Das Liecht der Welt hab ich beschaut[3]
XII Jahr, nachdem die Eltern getraut.

Anno 1646.
Als Rabenau der Brandt verwüst,
Meine Erbschafft ich da eingebüst.

Anno 1647.
Die Mutter mich aufn Kirchthurm trug,
Zu schaun den feindlichen Abzug.

Anno 1648.
Am Friedenfest Gott zu lobsagen,
Wurd ich mit in die Kirche getragen.

Anno 1649.
Die Eltern, des Zugviehes beraubt,
Den Plug ziehn musten, kaum mans glaubt.

Anno 1650.
Man hat mich in die Schule gethan.[4]
Das Korn kam wieder wohlfeil an.[5]


  1. Geboren den 15. März 1688 zu Seifersdorf bei Stollberg i. E., Richters Nachfolger im Diakonat zu Briesnitz bis 1741, dann Pfarrer daselbst bis zu seinem Tode 1757. Ein Aktenstück über Bartholds Substitution und Nachfolge befindet sich noch im dortigen Pfarrarchiv; als Grund zur Bestellung der Hilfskraft führt es neben der von Richter selbst in seinem Lebenslaufe erwähnten Augenschwäche auch „Abgang des Gedächtnisses“ an. Für mehrfache Mittheilungen über den Gegenstand bin ich Herrn P. Dunger in Briesnitz, für andere Herrn H. A. Lincke in Dippoldiswalde zu Dank verpflichtet.
  2. In diesem Sinne sagt auch ein auswärtiger Amtsbruder Richters in der Anmerkung zu einem Glückwunschgedichte, das er diesem zum 77. Geburtstage übersandte, daß dessen Beispiel „allen frommen Candidatis“, die lange warten müssen, aber dabei Gott vertrauen und treulich das Ihrige thun, zum Trost gereichen könne.
  3. Sc. als primogenitus.
  4. (Ohne Zweifel in Seifersdorf, wohin Paulsdorf noch jetzt eingepfarrt ist. Richters Vater bekleidete an der dortigen Kirche die Stellung eines Kirchvaters, wie der spätere Briesnitzer Pfarrer M. J. S. Herold, † 1797, in seinen auf der hiesigen Königlichen öffentlichen Bibliothek erhaltenen handschriftlichen Mittheilungen über kirchliche Verhältnisse und Geistliche zu Briesnitz bemerkt.)
  5. 15 bis 17 Gr. der Scheffel.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/121&oldid=- (Version vom 5.5.2024)