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wie ich Freundin zu sein wüßte. Ich muß es mir gestehen, daß diese lebhafte Darstellung unserer ersten Bekanntschaft mir Freude machte und daß auch meiner Seele diese ganze Vergangenheit oft vorschwebte. Den heutigen Abend feierte Naumann meinen Geburtstag in seinem Hause; er zauberte auf der Harmonika Töne hervor, die das Innere des Gemüthes tief bewegten und zu höheren Gefühlen erhoben. Zu dem morgenden Mittag bat Graf G. mich auf seinen Weinberg, um dort mit Körners zu speisen; doch wolle er dafür sorgen, daß ich vor der sechsten Abendstunde zu Hause sein solle, ob zwar meine Schwester nicht vor 9 Uhr Abend ankommen könne.

Den 21. Mai Abends nach 7 Uhr. Der Körner ihre Schwester[1] und Graf G. führten mich in des Grafen Wagen nach Hause, sie verließen mich nach einer Viertelstunde, um, da sie meine Schwester noch nicht kannten, unser erstes Wiedersehn nicht zu stören. Immer ruhiger schlägt mein Herz an der Seite des edlen G., den ich nun Freund zu nennen wage, da auch Naumann seinem Charakter ein schönes Zeugniß giebt. Heute las er uns auf seinem Weinberge einige Scenen aus Don Carlos vor: schöner hört’ ich nie lesen! –

Nach Mitternacht. Meine Schwester ist nicht gekommen, aber ihren Kammerdiener hat sie als Courier zu mir geschickt und mir auf morgen Mittag ihre Ankunft bestimmt.

Den 23. Mai. Wie süß sind die Bilder jugendlicher Geschwisterliebe, wenn man so glücklich ist, wieder an die Liebe einer so geliebten Schwester glauben zu können. Seit vorgestern Mittag lebt meine Seele ein neues Leben, denn mit größerer Innigkeit scheint meine durch den Tod ihres Sohnes tiefgebeugte Schwester jetzt an mir zu hängen. Sie hat die Bekanntschaft des Grafen G. und der Körnerschen Familie gemacht und fühlt sich durch den Umgang des geistreichen Grafen sehr erheitert. Auf den morgenden ganzen Tag sind wir bei G. eingeladen: weil meine Schwester Musik liebt, so werden die Virtuosen der Dresdner Kapelle, unter Naumanns Leitung, meine Schwester morgen Abend bei G. durch ein schönes Concert überraschen.

Den 24. Mai nach Mitternacht. Reich an Geistes– und Herzensgenüssen war der heutige Tag: aber ich verstehe mich selbst nicht recht. Fern von G. ist meine Seele so voll von seinem Werthe, daß mir es scheint, er könne meinem Herzen so lieb als H. werden: und diesen Abend, als er zärtlicher wie gewöhnlich gegen mich war, einigemal meine Hand mit Innigkeit küßte, da wurde mir, als stünde der edle, sanfte H. als warnender Genius zwischen mir und G. – ich erschrak vor dem Gedanken, daß er vielleicht den Wunsch äußern könne, sein Schicksal als Gatte mit mir zu verbinden. Mit Geist und Herz möcht’ ich ihn lieben, so von ihm geliebt werden, wie mein Fritz und Sophie mich liebten. Ueber alles gegen ihn laut denken zu können, dies fängt an Bedürfniß meiner Seele zu werden; und höre ich eine Aeußerung von ihm, die nicht zu meiner Denkart paßt, dann wird mein Herz körperlich schmerzhaft gepreßt: zum ersten Male machte ich heut diese Erfahrung: G. vertheidigte mit vielem Geiste das Sprichwort gegen mich: personne n'est grand devant son valet de chambre, und meine Behauptung, daß ich Charaktere kenne, die ihren strengsten Beobachtern im häuslichen Leben am größten erschienen, suchten meine Schwester und G. nur aus dem Enthusiasmus meiner Seele zu erklären, die so schön für Tugend schwärme und sich eben daher so leicht zu Extremen hinneige und die Menschen entweder für Engel oder für Teufel halte. – Ich erwiderte, gerne will ich glauben, daß ich Menschen bisweilen in meinem Herzen zu strenge beurtheile, mich zu schnell zurückziehe, wenn ich Grundsätze und Charakterfehler finde, die mich zu hart berühren. Daß ich meinen Freunden aber mehr Werth zugestünde, als sie besäßen, könne ich daher nicht glauben, weil meine Freunde mir immer lieber würden und noch bis jetzt nur der Tod mir die Lieblinge meines Herzens geraubt hätte; noch hätte sich aber nie ein durch mich geknüpftes Freundschaftsband durch das Schmerzgefühl aufgelöst, daß meine Phantasie meinen Freunden mehr Seelenwerth geliehen haben sollte, als sie besäßen, und die innere Würde meiner Freunde trotzte, in meiner Seele, dem Sprichworte, daß edle, erhabene Charaktere keine nahe Beleuchtung ertrügen. – Ich muß es mir gestehen, daß G. mir zwar unaussprechlich lieb geworden ist, aber die kleine Idee, die er von der Kraft im Menschen, edel zu handeln, hegt, schmerzt mich tief; denn nur derjenige, welcher ein hohes moralisches Ideal in der Wirklichkeit gefunden zu haben glaubt, wird von dem Muthe beseelt sein, einem solchen Vorbilde nach zustreben.

Den 25. Mai Morgens um 6 Uhr. Wie wachen alle Jugendbilder an diesem mir heiligen Tage in mir auf! – Dreizehn Jahre sind es schon, daß ich den Geburtstag meines liebsten Bruders zum letzten Male an seiner Seite auf väterlichen Fluren feierte! – wie ist mir alles noch so gegenwärtig! – Aus unserm irdischen Kreise ist diese Seele meiner Seele entnommen! aber im Universum reifen wir vereint der Ewigkeit entgegen! wir finden uns einst wieder! Wie mein Fritz und ich uns liebten, so liebt meine Schwester mich nicht! – – doch an diesem mir heiligen Tage, an welchem der Unvergeßliche zuerst das Licht der Welt

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/118&oldid=- (Version vom 4.5.2024)
  1. Dora Stock, die bekannte Malerin, zu der sich übrigens Elisa nicht hingezogen fühlte.