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Jahresschlusse (denn es war der Abend vor meinem Geburtstage) mit diesen Worten Glück – „möchten für Sie, edle Frau, mit diesem Sonnenuntergange alle Lebenssorgen schwinden oder nur so viele Ihr Loos sein, als zur Lebenswürze nöthig sind. Sie, theure Elisa, verloren in diesem Jahre viel – sehr viel! – und ich gewann noch in keinem so edle Lebensfreuden; denn, Sie lernte ich kennen! Möge der Abend Ihres Lebens so schön als diese Abendröthe sein, die es uns verspricht, daß die Natur den 20. Mai durch einen herrlichen Sonnenaufgang feiern wird.“ – Nun trat die übrige Gesellschaft zu mir und wünschte mir zum letzten Abend meines bald verfloßnen Jahres Glück. Die Musik wurde immer fröhlicher, und ich fühlte mich tief bewegt. Scherzend fragte die Körner mich, ob ich ein Kind des Tages oder der Nacht sei; ich erwiderte, mit der vierten Morgenstunde begrüßte mein erstes Weinen diese schöne Gotteswelt. Graf G. rief mit Entzücken aus, „unsere Elisa ist ein Kind des Lichtes!“ Halblaut sagte er, sich zu mir neigend – „mit heiligen Gefühlen feire ich in meiner Einsamkeit morgen die vierte Tagesstunde.“ Nun wurde das Gespräch allgemeiner. Wir speisten unter einer Linde, der hellbesternte Himmel glänzte über uns, heitere Geselligkeit würzte das Mahl, und unerwartet wurde mir zu Ehren von der ganzen Gesellschaft ein an mich gerichtetes Lied, bald im Chor, bald nur von einer einzelnen Stimme gesungen. Bis 11 Uhr blieben wir bei einander, Graf G. und Körner begleiteten mich über die Elbe: auf dieser blauen Fluth spiegelte sich der Sternenhimmel prachtvoll ab, und G. suchte beim Glanze der Sterne die Empfindungen der entflohenen Stunden in meinen Augen zu lesen. Als er mich aus dem Fahrzeuge hob und zu meinem Wagen führte, bat er mich, morgen mit Körner und Naumann bei ihm zu speisen.

Den 20. Mai nach Mitternacht. Mein Gemüth ist nicht mehr so unruhig bewegt, süßere Gefühle bemeisterten sich meiner Seele. In der siebenten Morgenstunde feierte ich im Brühlschen Garten einsam das Andenken meiner geliebten Todten und Entfernten. An der eisernen Ballustrade gelehnt, hatte ich vor 6 Jahren mit Sophien und Fritz Stollberg, als die Sonne sich zum Untergang neigte, ein interessantes Gespräch über Unsterblichkeit und das Wiedererkennen unserer Geliebten nach dem Tode. Da glänzten die sinkenden Strahlen der Abendsonne zwischen den Bogen der Brücke auf im Wasser sich spiegelnde Landschaftsgemälde und röthlich war die ganze Gegend angeleuchtet. Rollende Wagen, umherwandelnde Spaziergänger auf der Brücke störten uns in unsern ernsten Betrachtungen nicht, und wir fragten uns, was bleibt nach 80 Jahren von allem diesen bunten Leben und Treiben übrig? – Ich reichte Sophien und Stollberg eine Hand und erwiderte: das Andenken dieser feierlichen Stunde wird uns auch dann noch wohl thun, wenn wir unsere Raupenhülle ausgezogen haben. Meine Hand an sein pochendes Herz drückend, rief Stollberg aus – „Ja wohl! Elisa, versprechen Sie mir, nie diese Stelle zu betreten, ohne dieser feierlichen Stunde zu gedenken.“[1]

Redlich habe ich mein Wort seit dieser Zeit gehalten, und heute stellte ich dort eine ernstliche Selbstprüfung an, alles um mich her war in dieser einsamen Feierlichkeit stille. Blüthendüfte von den nahen Orangen wehten mich an, die Morgensonne spiegelte sich in majestätischer Pracht auf der ruhigen Fluth, mir war als fühlt’ ich mich der ewigen Quelle aller Wesen näher und als strömte die ewige Liebe mir heitere Ruhe in mein bewegtes Gemüth. Worte hatte ich nicht, um meine Seele zum Geiste der Welten zu erheben, aber mir war – als sei jede meiner Empfindungen ein Gebet! und mit ungetrübter Freude dachte ich an das nahe Wiedersehn meiner einzigen Schwester, die ich morgen erwarte.

Unser Mittagsmahl entfloh unter herzlichen Gesprächen bei Graf G. Mit Vergnügen verweilte er bei dem Andenken des ersten Abends unserer Bekanntschaft, die wirklich etwas Romantisches hatte. Er sagte mir, blose Neugier habe ihn den Abend zu Naumann nach Blasewitz getrieben, denn meine Schrift über Cagliostro und Starck und der Enthusiasmus, mit welchem meine Freunde immer über mich sprächen, hätten in seiner Seele ein sonderbares Ideal von mir entworfen. Für höchst interessant habe er mich gehalten, aber durch mein anspruchloses Wesen sei er so überrascht und zu mir hingezogen worden, daß er, als Naumann mich und meine Gesellschaft noch in der Mitternachtsstunde eine halbe Meile in einem Miethwagen auf dem Wege nach Töplitz begleitet hätte, er statt nach Dresden zurück zu reiten, dem Wagen habe folgen müssen: als dieser gehalten hätte und wir nun alle ausstiegen, von ihm und Naumann bei dem schönsten Mondenglanze Abschied nahmen, er mich da wie in einem verklärten Lichte gesehen habe, so hätte er unserem Wagen, als wir uns auf den Weg gemacht hätten, noch eine halbe Stunde nachfolgen müssen, und sein Entschluß, uns nach Karlsbad zu folgen, sei um so fester geworden, je mehr er meinen Umgang mit der Mutter und Tochter Nicolai beobachtet und gesehen habe, wie beide mich liebten und


  1. [Nachschrift]: „Fritz Stollberg trat in seiner zweiten Ehe zur katholischen Religion über und seitdem hörte unser Briefwechsel auf; aber wenn wir uns auch nach seinem Religionswechsel sprachen, so war er stets sehr herzlich gegen mich; nur stockte unsre Unterhaltung dann oft. Nur wenn wir über Napoleon und unsre deutschen Fürsten sprachen, da waren wir gleichen Sinns und dann drückte Stollbergs Umgang mich nicht. Den 27. Juni 1823.“
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/117&oldid=- (Version vom 4.5.2024)