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einem geräumigen Wagen ab. Ein schöner Frühlingsmorgen erfüllte die Gegend mit Blüthenduft; immer abwechselnde Landschaften gewährten einen reizenden Anblick. Zuerst stiegen wir bei Liebethal aus; kaum ein Maler vermag diese reizenden Baum-, Wasser- und Felsenparthien darzustellen; meine Feder ist zu schwach, die schauerliche Anmuth um Liebethal zu beschreiben. Es wurde mir schwer, mich von diesem reizenden Thale zu trennen; doch meiner warteten noch schauerlichere Gegenden, und so mußte ich mich vom rauschenden Wasserstrome der einsamen Mühle losreißen; wir fuhren unter geistreichen Gesprächen bis Lohmen: dort hatte G. ein wohlschmeckendes Mittagsmahl bereiten lassen, und nachdem wir unsern Hunger gestillt hatten, nahm uns ein schönes Fahrzeug auf, das leicht über die blauen Wellen der Elbe hinglitt; reizende Fernen und fruchtbare Nähen hatten wir zu beiden Seiten der Ufer. Neu war die Hypothese der Naturforscher mir, daß ein Theil von Böhmen einst ein großer Landsee gewesen sei, und bei Aussig, durch eine Revolution der Natur, das Wasser die Felsen zerrissen und den Elbstrom durch diesen gewaltsamen Durchbruch gebildet habe: so sei der große stehende See in der Folge in fruchtbares Land verwandelt worden. Graf G. machte uns durch scharfsinnige Bemerkungen diese Vermuthung sehr wahrscheinlich, merkwürdig ist es wenigstens, daß die beiden Seiten der Elbufer so gleich geschichtet sind, daß man vermuthen muß, nur eine gewaltsame Kraft konnte ihren Zusammenhang zerreißen. Der Eindruck, den die phantastisch geformten Felsengruppen in Wehlen auf mich machten, ist unbeschreiblich. In diesem romantischen Thale möchte ich, unbemerkt vom großen Haufen, mein Leben vollenden. Für alle meine Bekannten wünschte ich als todt zu gelten und nur von meinen liebsten Freunden bisweilen besucht zu werden.

Den 19. Mai nach Mitternacht. Nie fühlte ich mich so sonderbar bewegt, als diesen Abend auf Körners Weinberg; er liegt an der Elbe, Blasewitz gegenüber. Dort sah ich G. im verfloßnen Jahre am 17. Juni zum ersten Male in Naumanns Weinberg; der 17. Juni war der Geburtstag meiner seligen Tochter. Meine Seele war durch das Andenken dieses holden Kindes und meines ganzen Schicksals feierlich gestimmt. Naumann stellte mir damals G. als einen seiner verehrtesten Freunde vor. G. wußte sich gleich durch geistreiche Unterhaltung interessant zu machen. Und – ist er mir jetzt nur interessant? – noch kenn’ ich G. kein volles Jahr und immer schwebt nur sein Bild mir vor! Um heutigen Abend hat er sich mir noch werther gemacht, und doch sah ich eigentlich keine Handlung von ihm, die mein Herz so erwärmen könnte! Das Interesse, welches er an mir zu nehmen scheint, verdient freundschaftliche Erwiderung: aber was soll diese Unruhe in mir? – Kurz vor Untergang der Sonne bat G. mich und Körners Familie, wir möchten an diesem schönen Abende die Stube mit dem Garten verwechseln, und so bot er mir den Arm. G. führte mich zu der Gartenmauer auf eine Erhöhung, so daß ich die Aussicht auf die Elbe und ihre reich mit Weingärten besetzten Ufer hatte; hier, sagte G., wollen wir den Untergang der Sonne erwarten; sie spiegelte sich mit ihren blendenden Strahlen in der blauen Elbe und versprach ein schönes Abendroth. Die Luft war so rein, daß man auch die Formen der entfernten Bergketten, die hinter den Weinbergen liegen, am Horizonte scharf gezeichnet erblicken konnte. Kaum hatte ich mich einige Augenblicke dieses Schauspieles gefreut, so erscholl eine sanfte Musik von Blasinstrumenten, ich wollte mich dieser nahen, aber G. bat mich, ihm diese Stunde zu schenken; denn die andere Gesellschaft spazierte im Garten umher. G. lenkte das Gespräch auf den ersten Tag unsrer Bekanntschaft und sprach von dem Einflusse, den dieser auf seine Geistesstimmung habe. Er sagte mit tiefer Rührung, sein ganzes Leben würde Zeuge der Wahrheit sein, daß ich keinen treuern Freund als ihn hätte. Wunderbar fühlte sich mein Herz bewegt, und mit Innigkeit erwiderte ich, daß auch er auf meine Freundschaft rechnen könne. G. ergriff meine beiden Hände, sah mich zärtlich an und rief bewegt aus – „soll das Leben Interesse für mich gewinnen, so müssen Sie meine innigste Freundin werden.“ Die Sonne neigte sich in diesem Augenblicke zum Untergange: die Musik der Blasinstrumente wurde immer sanfter und ging zum heitern Allegro über, als die Sonne niedersank. Mit ihrem letzten Feuerstrahle wünschte G. mir zu meinem

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/116&oldid=- (Version vom 4.5.2024)