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so tiefen Eindruck auf mich? Nicolai gab einigen Gelehrten und ihren Frauen ein Souper; Graf G. und ich vermehrten diese Gesellschaft. Ich saß zwischen G. und Nicolai; Blankenburg und der alte Forster[1] mir gegenüber. G. wußte der Unterhaltung einen Schwung zu geben, so daß jeder durch seine Wissenschaft oder irgend einen Gedanken glänzen konnte, ohne daß blos Einer das Gespräch ganz an sich riß, dadurch fühlten alle Einzelnen sich erheitert und alle bewunderten den Reichthum der Kenntnisse, welche dieser geistreiche Mann sich erworben hat. Der Professorin Sprengel, geborne Forster, gab er Gelegenheit, durch witzige Repliken Aufsehen zu erregen, indessen er seine eigne Gabe, angenehm zu scherzen, in hellem Lichte zeigte. Die ehrfurchtsvollste Anhänglichkeit an mich gab er mit einer Zartheit zu erkennen, die ihn meinem Herzen noch werther machte. Als ich mich in der Portechaise nach Hause tragen ließ, fand er sich unerwartet an meiner Seite ein, das Fenster war offen; er rief mir mit dem innigsten Tone zu „ich mußte Sie noch wiedersehn! Diesen Abend überstand ich eine harte Probe! – ich fühlte die nahe Trennung von Ihnen,– und fühlte, was ich einer so geistreichen Gesellschaft schuldig war! – Nun! – in Dresden sehe ich Sie ja in wenigen Tagen wieder!“ Auch ich freue mich dieser Aussicht, war meine Antwort: aber kaum waren diese Worte meinem Herzen entschlüpft, so zog ich das Fenster zu! – „Elisa! so ganz ohne freundlichen Abschied lassen Sie Ihren Freund von sich?“ – Schnell ließ ich das Fenster hinunter, er griff nach meiner Hand, drückte sie an seine Lippen, an seine Brust, – ich fühlte die Schläge seines Herzens, und nun tönt mir sein – „Leben Sie wohl“ immer in die Ohren. Aber das Bild des edlen H.[2] steht dann so lebhaft vor meiner Seele, als warnte ein guter Genius mich, diesen interessanten Mann nicht zu lieb zu gewinnen.

Den 6. Mai. Mit Blankenburg und Nicolai machte ich einen Spaziergang im Rosenthale; wir hatten ein höchst interessantes Gespräch über den Unfug der Geisterseherei, durch welche schlechte Menschen sich des gutmüthigen Friedrich Wilhelms so zu bemächtigen wissen, daß für den preußischen Staat üble Folgen zu befürchten sind, weil der König durch diese Schwärmerei ein Werkzeug intriganter Leute wird; wir waren in diesen Betrachtungen vertieft, als ein Bettelknabe mit einem von Blatternarben zerrissenen Gesichte uns ansprach, und gleich war meine Aufmerksamkeit auf das Gespräch verschwunden, G.’s Gestalt, mit seinem seelenvollen, doch von Blatternarben zerrissenen Gesichte stand vor mir, und ich wurde den ganzen Abend dies mir theure Bild nicht mehr los. Dem Bettelknaben gab ich mehr, als ich nach meinen Grundsätzen Straßenbettlern zu geben pflege. Ich muß auf die Gefühle meines Herzens aufmerksamer wirken.

Dresden, den 12. Mai. Meine Tage sind zwischen meinem erprobten Freunde Naumann[3] und G. getheilt. Bei Naumann schwelg’ ich in musikalischen Genüssen und unbefangenen Herzensergießungen; wie tief fühlt der Edle meiner Sophie Tod! Ist es doch als vermindere sich das Schmerzgefühl, wenn unsere lebenden Freunde den Verlust unsrer Entschlummerten tief mit uns betrauern.

Den 15. Mai. Ein schöner Freudengenus folgt dem andern. G. lud mich ein, mit ihm und Körners Familie eine Reise durch die Sächsische Schweiz zu machen; er hat um Dresden Felsengegenden aufgefunden, die bis jetzt noch unbesucht waren und denen er den Namen der Sächsischen Schweiz gegeben hat.[4] Um 4 Uhr morgens holte er und Körners Familie mich in


  1. Johann Reinhold Forster (geb. 1729, gest. 1798), berühmter Naturforscher, 1772-1775 mit seinem Sohne Begleiter Cooks auf dessen Reise um die Welt, seit 1780 Professor in Halle.
  2. Herr von Holtei, ein kurländischer Gutsherr. Dieser hatte 1778, noch vor ihrer endgiltigen Scheidung von ihrem Gatten, um Elisens Hand geworben, aber sie hatte dem ihr angebotenen Glücke entsagt, um ihre Cousine, die ihn liebte, mit ihm vermählt zu sehen, was jedoch fehlschlug. Sie behielt ihn im Stillen lieb und bis an ihr Lebensende war es ihre Ueberzeugung, daß sie nur an seiner Seite das Ideal einer glücklichen Ehe gefunden haben würde. Er starb im Juni 1823, nachdem er bis auf die letzten Tage mit ihr im freundschaftlichsten brieflichen Verkehr gestanden. Jedesmal wenn ihr später ein Heirathsantrag gemacht wurde, trat Holteis Bild vor ihre Seele, und sie glaubte bei keinem Manne die hohe Reinheit des Charakters wiederzufinden wie bei ihm. – Es muß hier eine Bemerkung Julius Eckardts zurückgewiesen werden, der in der „Allgemeinen deutschen Biographie“ (Bd. 27, S. 502) behauptet, es sei auf Elisens Scheidung von ihrem Manne nicht ohne Einfluß gewesen, „daß sie an dem Professor des Mitauer Gymnasiums David Hartmann einen Verehrer im Wertherschen Stil gefunden hatte.“ Eckardt stützt sich dabei auf weiter nichts als einen im Goethe-Jahrbuch für 1888 (S. 132) abgedruckten Brief Hartmanns, aus welchem hervorgeht, daß Elisa mit diesem literarisch hochgebildeten Manne verkehrte und 1775 mit ihm „Werthers Leiden“ las. Hartmann drückt in dem Briefe seine Bewunderung für die geistig so bedeutende junge Frau aus, indem er sagt, er habe eine Bekanntschaft gemacht, „die ihm nahe gehe“ und indem er sie, „eine ganz außerordentliche Dame“ nennt. Zugleich äußert er aber seine Sehnsucht nach der württembergischen Heimath, was doch gewiß nicht darauf hindeutet, daß er sich von Elisa innerlich gefesselt fühlte. Umgekehrt vollends liegt nicht die geringste Andeutung dafür vor, daß sie für Hartmann ein anderes Interesse hatte als das der Schülerin für den Lehrer: sie erwähnt ihn in ihren Erinnerungen gar nicht, und ihre tiefgehende stille Neigung für Holtei spricht aufs Entschiedenste dagegen. Aber selbst ihr Verhältniß zu diesem kann bei der im Jahre 1781 erfolgten Scheidung von ihrem Manne nicht mitgesprochen haben, da sie ja bereits 1778 seine Hand ausgeschlagen hatte. Die Bemerkung Eckardts erweist sich somit als eine oberflächliche und, da sie auf die charaktervolle Frau ein schiefes Licht wirft, etwas leichtfertige Vermuthung.
  3. Naumann hat im Jahre 1787 „Zwölf von Elisens geistlichen Liedern“ und 1799 „Vierundzwanzig neue Lieder von Elisa“, in Musik gesetzt, herausgegeben.
  4. Diese Stelle ist von besonderem Interesse, da sie das älteste literarische Zeugniß für die Entstehung des Namens „Sächsische Schweiz“ darstellt, der nach der bisherigen Kenntniß zuerst in den 1794 erschienenen „Mahlerischen Wanderungen durch Sachsen“ von Engelhard und Veith erwähnt wird. Wenn der bekannte Neustädter Pfarrer Götzinger im Jahre 1804 äußert, daß geborene Schweizer die ersten gewesen wären, die diese Gebirgsgegend besucht und ihr „vor beinahe 20 Jahren“ den Namen der Sächsischen Schweiz gegeben hätten, so ist diese Angabe doch ziemlich unbestimmt und besitzt kaum mehr Glaubwürdigkeit als die des Lohmener Pfarrers Nicolai, der in seiner Selbstbiographie die Erfindung des Namens für sich in Anspruch nimmt, was ihm bereits als Erzeugniß eines Gedächtnißfehlers nachgewiesen worden ist. (Vgl. den Aufsatz Theiles in „Ueber Berg und Thal“ Bd. 3, S. 102.) Es ist an sich schon wahrscheinlich, daß der Name in Dresden, von wo aus die Sächsische Schweiz doch zuerst besucht wurde, entstanden ist. Wenn sich Graf Geßler als seinen Urheber betrachtete – auf seine Aussage geht ja die Erzählung Elisens zurück – so kann man dem kaum widersprechen. Er hatte die Gegend vor 1790 offenbar schon öfter besucht und konnte bei seiner einflußreichen Stellung und seinen ausgebreiteten Bekanntschaften einem von ihm erfundenen Namen in der Dresdner Gesellschaft leicht Geltung verschaffen. Wahrscheinlich kannte er auch die wirkliche Schweiz; einer Familiensage nach sollte übrigens sein Geschlecht aus dem Schwabenlande am Bodensee gekommen sein, wenn nicht gar von dem fabelhaften Landvogt Geßler abstammen! (Vgl. Arndts Wanderungen S. 202.)
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/115&oldid=- (Version vom 4.5.2024)