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der „Urania“, zubrachte. Am 13. April 1833 schloß sie die Augen, die seltene Frau, die – ein wahres Muster zarter Weiblichkeit – doch den Geist und die Charakterstärke eines Mannes besaß.

So war Elisen von der Recke noch ein längeres Leben beschieden gewesen, als es ihre frühzeitig erschütterte Gesundheit hatte ahnen lassen. Ihre Seelenkraft war im Kampfe mit der Hinfälligkeit des Körpers immer Sieger geblieben. „Wer sich es zum Gesetz macht, sich selbst zu beherrschen“, schreibt sie, „wird seiner Leidenschaften Herr werden und es dann aus eigner Erfahrung bestätigt finden, daß man selbst bei körperlichen Schmerzen heitere Ruhe beizubehalten vermag. Wie oft litt ich Monate hindurch schmerzhafte Krämpfe und mußte auf dem Krankenlager liegen; nie hatten diese körperlichen Leiden Einfluß auf meine Laune. Mein denkendes Ich fühlte ich dann von meinem materiellen Wesen so abgesondert, daß ich mir es fühlbar bewußt wurde, daß ich aus Körper und Geist bestehe, und meine Seele gewann auf meine leidende Hülle mehr Einfluß als mein Körper auf meinen Geist. Oft haben Leiden der Seele meinen von der Natur so fest gebauten Körper durch Krankheit niedergebeugt, nie aber hat Krankheit den Gleichmuth, die Heiterkeit meiner Seele erschüttert.“

Zu den schmerzlichsten Ereignissen ihres Lebens gehörte es, als am 26. Oktober 1789 ihre Busenfreundin Sophie Becker, die Tochter eines kurländischen Pfarrers, seit zwei Jahren Gattin des Referendars Schwarz in Halberstadt, im Alter von 35 Jahren starb. Da zu dieser Zeit Elisens Verhältniß zu ihrer Schwester, der Herzogin, etwas erkaltet war, so hatte sie, die Liebebedürftige, nun keine Seele mehr, der sie sich rückhaltslos anvertrauen konnte, und mußte selbst ihre eigne Freundin werden. „Ich beschloß daher“, sagt sie, „ein Tagebuch zu führen, worin ich nun wie vor einem Gewissen von meinem innersten Leben Rechnung ablegte und meine Gedanken und Urtheile, so wie sie in mir aufstiegen, der Reihe nach zu meiner eignen Belehrung und Prüfung aufstellte. Man lernt sich nicht besser beurtheilen, als wenn man aus sich selbst heraustritt und gleichsam sein zweites Ich wird. So schöpfte ich Menschenkenntniß und Trost aus mir selbst. Zum heiligsten Pflichtgebot hatte ich mir die Regel gemacht, mich strenge, andre schonend zu beurtheilen: aber meinem Tagebuche war ich Wahrheit meiner Ansicht schuldig; daher es über Menschen, über Begebenheiten und deren Quellen sehr offenherzige Urtheile enthält, welche nie zu einer öffentlichen Kunde gelangen dürfen.“ Diese Tagebücher reichten vom 26. Dezember 1789 bis zum Jahre 1804 und umfaßten 18 Bände. Um jeden Mißbrauch mit diesen Gefühlsergüssen zu verhüten, fertigte Elisa daraus einen Auszug, in dem sie, ohne zu ändern oder anders zu färben, das zur Veröffentlichung Ungeeignete wegließ und nur „das Merkwürdigste und dasjenige aushob, was rathen, warnen und als Begebenheit interessiren kann“, und vernichtete dann die Urschriften.

Dieser Tagebuchauszug, der in der Königl. öffentlichen Bibliothek zu Dresden (Handschrift R. 256) aufbewahrt wird, erstreckt sich nur auf die Zeit vom 26. Dezember 1789 bis zum 8. Dezember 1790; es ist ihm aber als „Vorrede“ ein bis zum Beginn der Tagebücher reichender Lebensabriß vorausgeschickt, der zu „Leipzig, am 12. Januar 1810“ unterzeichnet ist. Den ganzen Inhalt des starken Oktavbandes hat Elisa mit eigner Hand im Jahre 1809 – auch der Einband trägt diese Zahl – niedergeschrieben, dann aber 1823 und in den folgenden Jahren, als ihre sonst so schöne und feste Hand zitternd geworden, noch mit erläuternden Bemerkungen versehen. Sie hat nicht beabsichtigt gehabt, die Auszüge weiter als über das Eine Jahr 1790 hinaus zu erstrecken, denn sie endet die Vorrede mit den Worten: „Mein Tagebuch ist geschlossen; ich habe vollendet und weihe den kleinen Rest meiner noch übrigen Stunden dem kleinen Kreise, der mich liebend umgiebt“; offenbar hielt sie das Werk in dem vorliegenden Umfange zu dem Zwecke, den sie im Auge hatte, für ausreichend. Zum Druck hat sie es wohl nicht bestimmt gehabt, während das Tagebuch ihrer Reise durch Deutschland und Italien in den Jahren 1804 bis 1806, das Hofrath Böttiger 1815 bis 1817 in Berlin hat erscheinen lassen, von ihr selbst für die Veröffentlichung angelegt war.

„Ihr Edleren, ach es bewächst
Eure Male schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit Euch
Sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht!“

Mit diesen Versen, die sich an ihren 1778 im Alter von 20 Jahren verstorbenen Bruder und Vertrauten Friedrich Graf von Medem und ihre Freundin Sophie Becker richten, beginnt sie das Tagebuch des Jahres 1790. Es soll hauptsächlich der Erinnerung an Personen, seelischen Vorgängen gewidmet sein, während äußere Erlebnisse darin zurücktreten. Dies gilt namentlich auch von dem Abschnitte, der uns näher beschäftigt und unten im Wortlaut mitgetheilt ist: dem Tagebuche über ihren Aufenthalt in Dresden im Mai 1790.

Es war ein wahrer Wonnemonat für Elisa, dieser Mai 1790: er brachte ihr die Freuden einer neu aufkeimenden Liebe. Der Gegenstand ihrer schwärmerischen Neigung war ein Mann, der durch Rang und Geist im gesellschaftlichen Leben Dresdens damals eine hohe Stellung einnahm: Karl Graf von Geßler, preußischer Gesandter am sächsischen Hofe. Seine Freundschaft mit dem Hofkapellmeister Naumann und dem Appellationsrath Körner, bei dessen Sohne Theodor er später Pathenstelle

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/113&oldid=- (Version vom 4.5.2024)