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unvermeidlich. Die östreichischen und braunschweigischen Anführer fanden es aber glücklicherweise für besser, einen andern Weg einzuschlagen, und so ging am 29. Juni blos ein kleiner Theil des Am Ende’schen Korps nahe bei Dresden vorbei, ohne diese Stadt selbst zu berühren.

Die kleine in Dresden zurückgebliebene Besatzung, welche sich noch die letzten Tage recht bös gestellt und die Vertheidigungsmittel an den Thoren vermehrt hatte, fand es am Nachmittag des 29. Juni denn auch gerathener, ihren Landsleuten nachzugehen und räumte in Ruhe die Stadt. Ehe solches jedoch geschah, fiel noch ein Auftritt vor, dessen Zweck man um so weniger einsehen konnte, da er mit der dadurch erzeugten Mißbilligung in gar keinem Verhältnisse stand. Mittags um 1 Uhr nämlich wurden plötzlich alle Verbrecher, welche sich auf dem sogenannten Festungsbau (einem in den Festungswerken belegenen Aufbewahrungsorte für Gefangene, welche durch Beinschellen und besondere Kleidung ausgezeichnet werden) sich befanden, ihres Arrests befreit, auf Wagen gesetzt und unter Begleitung östreichischer Truppen mit fort nach Böhmen genommen. Der kleinere Theil nur von diesen Gefangnen bestand aus solchen, welche Desertion halber diese Strafe verbüßen mußten; die meisten hatten durch Diebstahl, gewaltsame Einbrüche und andere bürgerliche Vergehungen diese Strafe sich zugezogen, ja einige saßen sogar dort wegen Raub (z. B. ein Münzoffiziant, der eine Baronesse von Lorenz beraubt hatte) und Mord in einer strengen Verwahrung. Diese Menschen wußten selbst nicht, was sie von dieser plötzlichen Befreiung denken sollen, und einige, welche ihre Strafzeit bald überstanden hatten, sträubten sich sogar dagegen, da sie nicht anders denken konnten, als daß sie zu den härtesten Arbeiten oder in augenscheinliche Todesgefahr fortgeführt würden. Man eilte aber mit dieser kostbaren Acquisition so sehr, daß man sich bei den wenigsten dieser Gefangenen Zeit nahm, ihnen die Beineisen abschmieden zu lassen, sondern sie mit diesem Schmucke die bereitstehenden Wagen besteigen ließ und eilig mit ihnen davon fuhr. Was aus den meisten geworden, weiß man nicht, doch sind mehrere von ihnen freiwillig zurückgekehrt. Dresden konnte eigentlich froh sein, auf diese Art wieder Kostgänger des Staats, die ihm keinen Nutzen brachten und keine Ehre machten, los geworden zu sein, aber man befürchtete immer, daß die Oestreicher, mit ihrer Beute unzufrieden, sie unterwegs oder späterhin wieder fortschicken und so das Land mit räuberischem Gesindel bevölkern würden; doch sie hielten sie fest, und so gönnte ihnen jedermann diese Staatsbürger.

Dies waren also die letzten Deutschen, die sich halb gutwillig, halb gezwungen an die von Oestreich verkündete Sache der Freiheit anschlossen, und es durfte sonach dem sächsischen Staate niemand dauern, der bei dieser Gelegenheit zu den fremden Fahnen geschworen hatte.

Dies war aber auch das letzte Geschäft der Oestreicher für dieses Mal in Dresden; zwei Stunden darauf rückten sie aus der Stadt und vereinigten sich bei Seidnitz mit dem übrigen Theile des in diese Gegend gezogenen östreichischen Korps unter dem General Am Ende. Die wenigen braunschweigischen Offiziers, welche bis zu diesem Tage der Werbung halber noch in Dresden zurück geblieben waren, hatten sich des Vormittags entfernt, indem sie noch im Namen ihres Herzogs eine Anforderung von 30 000[1] Thlr. an den Rath gemacht und im Nichterfüllungsfall mit Feuer und Schwert gedroht, jedoch mit 5000 Thlr., die ihnen nach mühsamen Verhandlungen wirklich ausgezahlt wurden, sich beruhigt.

So war denn Dresden auf einmal von seinen Gästen befreit, aber sonach auch die Hoffnung verschwunden, zur Selbständigkeit gebracht und der Freiheit wieder gegeben zu werden. Doch wer sich mit diesen Ansichten gern schmeichelte, konnte es noch immer, da die Oestreicher bei ihrem Ausrücken bestimmt versprochen hatten, wiederzukommen und ihr angefangenes Werk zu vollenden. Schwerlich mochte es aber einen rechtlichen Bürger geben, der nicht ihr Außenbleiben für immer herzlich gewünscht hätte.

Am Abende des 29. Juni sprengten noch einige Ulanen, vom Bivuack bei Seidnitz – eine Stunde von Dresden – hereinkommend, durch die Stadt, verließen sie aber bald wieder, und der Rath mußte Bier, Fleisch und Brot für die dort gelagerten Truppen des Abends hinausliefern. Hierbei sei es, um zu loben was lobenswerth ist, nicht verschwiegen, daß die Oestreicher selbst beim Rückzuge im Bivuack vor Seidnitz die Fruchtfelder der Landleute sorgfältig schonten. Selbst noch am 30. Juni – wo die Oestreicher sich bis Mügeln, mehr als zwei Stunden von Dresden, zurückgezogen hatten – ritten Abends nach acht Uhr zwei Ulanen durch die Straßen, nahmen aber, als zu derselben Zeit der erste Offizier der sächsischen Truppen in die Stadt ritt, die Flucht, wobei einer in den Straßen stürzte und gefangen ward. Endlich erschien um 11 Uhr das sächsische Korps und ein westphälisches Regiment Garde zu Pferde an den Thoren Dresdens und zog unter fortdauerndem allgemeinen und herzerhebenden Jubel der Einwohner in die Stadt ein.

Der erste Akt des Dramas war geendet und alle glaubten, das ganze Stück mit ihm, doch im Rathe der Vorsehung war es anders beschlossen. Die westphälischen und sächsischen Truppen rückten nach einer kurzen

Erholung, und nachdem die den Oestreichern am 1. Juli


  1. Es waren nur 20 000, vergl. v. Friesen S. 63.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/86&oldid=- (Version vom 10.9.2024)