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Deutschen“ – Worte der Proklamation – zu sehen, welche sich unter die braunschweigischen, östreichischen Kohorten anwerben ließen. Bettler, welche man noch die Woche vorher mit verkrüppeltem Körper auf den Straßen die Vorübergehenden hatte ansprechen sehen, waren nun auf einmal mit geraden Gliedern begabt und „benutzten diese Gelegenheit, um sich als echte Deutsche zu beweisen.“ Vagabonden, die entweder dem Arme der Gerechtigkeit nur deshalb entgangen waren, weil noch niemand Zeuge oder Anzeiger ihrer Spitzbübereien gewesen war, oder die soeben erst aus den Orten der Züchtigung entlassen worden waren, „schlossen sich an die gerechte Sache des östreichischen Monarchen an“. Was der Arbeit müde war und dem Hange zum Müßiggehen schon längst gern gefröhnt hatte, „kämpfte nun für Deutschlands Freiheit und Selbständigkeit“. Weh that es aber auch auf der andern Seite jedem feinfühlenden Manne wieder, wenn er so erhabene Namen von Menschen profaniren hören mußte, die er bis jetzt nur als den Wegwurf der Nation hatte betrachten können, und die von Branntwein begeistert und mit dem Todtenkopfe auf der Mütze geziert – denn dies kriegerische Ehrenzeichen heftete sich jeder so schnell an, als er nur immer konnte, – die Gassen als Befreier der Deutschen durchschrieen und von Patriotismus, Gerechtigkeit und Größe sprachen, wo sie vorher wohl nur die Namen von Bettelei, Betrug und Weggeworfenheit gekannt hatten.

So mochten in Dresden wohl nach und nach in etwa 8 Tagen 300 Mann dieses Schlages sich anwerben lassen, welche in der Neustädter Allee in den Waffen geübt wurden und durch nächtliches Lärmen, Singen und Trinken den Heldennamen schon vorher zu erwerben hofften. Ja, es geschah wohl auch, daß sie geachteten Einwohnern, welche ihnen in ihrer ersten Gestalt ein Almosen versagt hatten, um ihren Müßiggang nicht noch mehr zu unterstützen, beim Wiederbegegnen in der schwarzen Tracht, mit dem Schreckensbilde vor der Stirn, drohten, sich bei eintretender Gelegenheit an ihnen zu rächen.

Zu wenig mochten jedoch diese Acquisitionen für die von ihnen als gut gepriesene Sache den Wünschen und Erwartungen der Oestreicher entsprechen. Wenn sie zuerst durch den Ernst der Proklamation die Geister zu fesseln gesucht hatten, wenn sie dann bemüht gewesen waren, durch Nachrühmen „der ruhigen Willfähigkeit, mit der sie aufgenommen worden seien“ – s. den Anschlag sub C[1] – und durch die Artigkeiten, mit denen man – s. die Beifuge sub E[2] – der Stadt durch das Aufziehen der Zugbrücken an den Stadtthoren um 10 Uhr des Abends „einen Beweis geben wollte, wie sehr das K. K. Militär-Commando die wohlwollenden und entgegenkommenden Gesinnungen der Einwohner zu achten wisse“, die Herzen zu gewinnen, so fing man nun an durch Ausbreiten politischer Flugblätter auf die Gemüther der Einwohner zu wirken. Ein Aufruf an die Deutschen wurde in Reime gebracht[3], die Schlacht bei Aspern als Epopöe behandelt, ein Volkslied „Groß ist Karl!“ gedichtet und in Musik gesetzt[4], ja selbst der große Schiller mußte zu Theklas Geisterstimme einen Kompagnon sich gefallen lassen. Schill – man verglich ihn zu Theklas Trost wohl gar mit Max Piccolomini – ließ sich auf einmal als Geist hören, da man endlich seinen Tod und Untergang nicht mehr bezweifeln konnte, – was man Anfangs mit allen möglichen Scheingründen gethan hatte, – und ging den Kampfgenossen als ein Streiter für „das Höchste voran“[5], s. die Anlage sub F.

Die Feder, aus der dies übrigens poetisch nicht werthlose Gedicht geflossen war, war nicht zu verkennen[6]; wir hatten ihr die Arbeiten, welche aus der Kanzlei des Fürsten Lobkowitz kamen und sich durch bessern Stil auszeichneten, zu verdanken, und da ihr Eigner ein junger Mann war, der, in den Zirkeln der höhern Welt geduldet, vorher schon oft in intellektueller Hinsicht die Meinungen vieler durch die kokettirende Dunkelheit seiner Ideen und das einer gewissen Schule eigne vornehme Niederblicken auf alles bisher in der gelehrten und kunstliebenden Welt geachtete Neuere bestimmt hatte, so hoffte man, daß auch in politischen Beziehungen sein öffentlicher Uebertritt nicht ohne Frucht bleiben sollte. Indessen trog man sich. Man fand, wo es Fürst und Vaterland galt, die Gemüther fest und auf dem Wege des Rechten, gleich Odysseus die Ohren verstopft vor dem Zaubergesange trügerischer Sirenen, und die Klänge der Lyra verhallen ungehört, wenigstens unbeachtet.

Mit größerem Vortheile hatten unterdeß der Intendant und sein Gehülfe alles sich vorfindende Staatseigenthum, das nur in der entferntesten Hinsicht auf kriegerische Verhältnisse stand, sich zugeeignet, und der reine Geld- und Sachgewinn mußte hier dem Gewinne der Herzen und Meinungen vorgehn, denn beide standen in offenbarem Widerspruche. Selbst das befangenste


  1. v. Friesen S. 39.
  2. Verfügung des Fürsten Lobkowitz „an den Stadt-Magistrat zu Dresden“ d. d. 15. Juni 1809 (K. Bibl. H. un. B 80b, 55).
  3. An die Deutschen. Aufruf eines Deutschen zum Zerbrechen drückender Fesseln. O. O. o. J. (K. Bibl. H un. B 80b, 45).
  4. Groß ist Karl! Ein Volkslied. Zur Feier des bei Aspern vom Erzherzog Karl über den Kaiser Napoleon erfochtenen Sieges. Verf. von J. C. Mikan. In Musik gesetzt von J. Wittassek. Prag 1809 (ebenda Nr. 60).
  5. Schill, eine Geisterstimme. 6 Strophen (ebenda Nr. 64).
  6. Adam Heinrich Müller, vgl. unten. Doch wird sonst als Verfasser des letzterwähnten Gedichtes K. Müchler genannt.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/83&oldid=- (Version vom 10.9.2024)