Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/48

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

11) Dienstag ... Amtsbauverwalter Beuchelt übergibt mir den östlichen Zwinger-Pavillon ... Die Räume sind sehr schön. Schade, daß sie nicht heizbar sind; sonst wäre hier die Galerie der Neueren vortrefflich placiert. – Heute wird nun auch die Zeichnung zu dem Mittelbild der Chornische fertig, so daß diese Arbeit nun erlediget ist. In dem Augenblick, als ich mit ungetheilten Kräften wieder zur Bibel mich wenden will, droht neue unerwartete und höchst unwillkommene Arbeit. Eine Sendung von Oldenbourg aus Leipzig erinnert mich an die längst von der Cottaschen Buchhandlung beabsichtigte neue Auflage des von mir und Neureuther illustrierten Nibelungen-Liedes und die Verpflichtung, mich dieser Sache zu widmen ...

12) Mittwoch. Bei näherer Betrachtung der gestern empfangenen Sendung aus Leipzig zeigt sich die Sache in weniger bedenklichem Lichte, als ich erwartete. Man wird mich nur so weit in Anspruch nehmen, als ich es selbst wünschen muß. Es werden nach einigen meiner Originalzeichnungen neue Zeichnungen auf Holz gemacht, weil man die im Schnitt oder Druck verunglückten Blätter durch bessere ersetzen will. Die jetzige Sendung enthält einen solchen Stock mit einer vortrefflichen Uebertragung. Durch eine ganz unbedeutende Retouche, die mehr dem Original als der Uebertragung gilt, ist die Sache abgethan ...

13) Donnerstag. Christi Himmelfahrt ... Ich wende eine Morgenstunde an die Retouche des Nibelungen-Stocks und bilde mir ein, die kleinen Aenderungen, die ich vornehme, wirken sehr vortheilhaft ...

14) Freitag. Den Entwurf einer Vignette zu dem Blatt für religiöse Kunst sende ich nebst einem Brief an Geh. Rath Schnaase. Professor Keller aus Düsseldorf besucht mich. Er erklärt mir seine Absicht, die Madonna di St. Sisto zu stechen, und ersucht mich, ihm zur Erlangung der Erlaubniß behülflich zu sein. Obwohl ich sonst nicht geneigt bin, eine solche Ausnahmsbewilligung zu befürworten, so werde ich in einem solchen Fall gern dienen. Kellers Stich nach der Disputa ist vollendet und im Kunstverein ausgestellt. Ich besichtige mir das Blatt und finde allerdings eine der gediegensten Arbeiten, welche die Kupferstecherkunst wohl je hervorgebracht hat. Obwohl zwei berühmte Namen an die Nachbildung von Rafaels Madonna durch den Stich sich knüpfen, Müller und Steinla, so zweifle ich doch nicht, daß Keller beide überflügeln wird ... Noch einmal retouchiere ich die Aufzeichnung zum Nibelungen-Lied aus Stuttgart ... Man hört, daß Cornelius nach Berlin zurückkehre, weil der Bau des Campo Santo nun ernstlich in Angriff genommen werden soll. Auf einmal kommt eine große monumentale Kunst wieder in Zug.

15) Samstag ... Noch bin ich bei diesem Morgengeschäft, als sich ein „alter Freund“ anmelden läßt, der im großen Zimmer bereits eingetreten. Es ist Passavant.[1] Von Herzen freue ich mich, ihn wiederzusehen ... 1/210 Uhr führe ich ihn in das Museum. Unsere Galerie kennt er nur vom alten Gebäude her. Der Eindruck, den dieselbe in den neuen Räumen macht, ist für ihn ein überraschender. Einen sehr mächtigen Eindruck macht die Rafaelsche Madonna, deren Aufstellung und Umrahmung ihn ganz befriediget. Wir bleiben lange vor dem Bilde sitzen. In der Stille des schönen Morgens (noch ist außer uns und den Dienern kein Mensch in der Galerie) ist der Genuß ein doppelt großer. Ich lasse ihn hier, hoffe aber aus unsern gemeinschaftlichen Beschauungen manchen Genuß noch und manche Belehrung zu schöpfen ...

16) Sonntag ... Schönherr besucht mich ... Wir kommen auf das Postulat zu sprechen, und ich theile ihm meine darauf bezüglichen Schriften mit. Er bestätiget mir, daß einige der angesehensten Künstler hier furchtbar über mich raisonnieren. Ich habe ihnen den Markt verdorben ...

17) Montag ... Museum. Passavant. Ich beginne heute damit, dessen Meinung über mehrere Bilder zu erforschen, über welche ich seit lange seine Ansicht zu erfahren wünschte. Den Christus Nr. 195 [jetzt 61] hält Passavant für Cima da Conegliano, Nr. 9 [„Ein Knabe“, jetzt 41] für Pinturicchio, Nr. 50 [„Anbetung der Könige“, jetzt 99] nicht Rafaels Komposition, sondern Giulio Romanos, für die Ausführung eines Niederländers (d. h. möglicher Weise), Nr. 138 [„Die heil. Margaretha“, jetzt 158] erscheint ihm sehr schön, dem Correggio so nahe, daß er, wäre das Bild bereits für einen Correggio erklärt, gegen eine solche Bezeichnung nichts einwenden würde[2] ...

18) Dienstag. Besichtigung des durch Del Vecchio auf der Terrasse ausgestellten Bildes von Ed. Dubufe, darstellend den Congreß von Paris. Dieses Bild ist vom Kaiser Napoleon als großes Preisbild für Versailles angekauft. Die Gesandten der betreffenden Staaten sind in lebensgroßen Porträtgestalten in Berathung begriffen dargestellt und mit großer Feinheit der Auffassung und völliger Beherrschung der Darstellungsmittel wiedergegeben. In seiner Art ist das Bild vortrefflich. Es ist ganz das, was es sein will ... Direktor Waagen hat in diesem Jahr ein Büchlein der Oeffentlichkeit übergeben unter dem Titel „Einige Bemerkungen über

die neue Aufstellung, Beleuchtung und Katalogisierung


  1. Joh. David Passavant, Maler und Kunstforscher, geb. am 18. September 1787 in Frankfurt a. M., gest. am 17. August 1861 ebenda, berühmt u. a. durch ein Werk über Rafael.
  2. Mit Passavants Annahmen stimmen die Bezeichnungen im neuen Galerie-Kataloge überein; nur schreibt der letztere die Komposition des Bildes Nr. 50 = 99 nicht Giulio Romano, sondern Baldassare Peruzzi zu.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/48&oldid=- (Version vom 23.8.2024)