Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/41

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Dresdners Volk lebte eben in seinem evangelischen Glauben. Man las regelmäßig und fleißig die Bibel, und es erscheint durchaus nicht als etwas Sonderliches, daß Rudolf von Bünau sie in 11 Jahren mal durchliest. Man hielt mit dem Gesinde Hausandacht; das Tischgebet ward auch bei Hofe nicht vergessen. Fleißig prägte man den Kindern biblischen und religiösen Memorirstoff ein und zwar nicht nur in den drei Lateinschulen der Stadt, nicht nur durch kirchliche Katechismusexamina und auf Grund des 1688 erschienenen Kreuzkatechismus, sondern vor Allem auch durch häusliche Unterweisung. Ein 1663 verstorbenes zehnjähriges Mägdlein konnte 26 Psalmen, 38 Gebete und 17 Kirchenlieder auswendig, Johann Georg II. aber hatte gar mit sechs Jahren von Pfingsten bis Weihnachten 14 Reimgebete, 64 geistliche Sprüche, die Torgauer Artikel und den deutschen und lateinischen Katechismus Luthers auswendig gelernt. Man sprach bei Hofe über den Glauben; und der Streit Speners mit dem englischen Gesandten entspann sich bei der Hoftafel. Aber auch die Bürgerschaft liebte religiöse Gespräche; sind doch die „Unterredungen“ Brehmes auf Grund von Unterhaltungen im kleinen Gemeinschaftskreise niedergeschrieben. So selbstverständlich war der sonntägliche Kirchgang, daß auch ein junger Dresdner auf seiner Kavaliertour 1661 in Italien alle Sonntage auf seiner Kammer die Predigt aus Luthers Postille las und aus seinem Gesangbuch die dazu geordneten Lieder sang. Was war das für ein Abendmahlsgang: 1617 hat die Stadt bei etwa 15000 Seelen 21507 Kommunikanten, die Zahl steigt und erreicht mitten in den Nöthen des 30jährigen Kriegs 1632 mit 32416 ihren Höchststand. Dann fällt sie, aber alsbald hebt sie sich wieder und beträgt 1699 bei 21298 Köpfen 59662, d. i. 283% gegen 28%, im Jahre 1899. Und wieviel mögen in dieser Zahl von Abend mahlsempfängern Kranke und Sterbende gewesen sein; gab es doch kaum einen Dresdner, der nicht bei der Krankheit alsbald auch an Sterbevorbereitung und Abendmahlsgenuß dachte.

Fleißig führte man auch den lieben Gott im Munde: er bescheert dem Landesherrn den Bären in der Falle und giebt Glück zur kurfürstlichen Jagdparthie. Aber man trug seinen Gott auch im Herzen: die Dankesworte für Gottes Bewahrung am Schluß seines Reiseberichts kommen, man fühlt es, dem jungen Griebe aus dem Herzen. Eine wirklich innige Religiosität spricht theilweise aus Brehmes Liedern; geradezu ergreifend aber sind die Frömmigkeitszeugnisse in Trübsalszeiten in den Briefen des 1670 verstorbenen Kanzleiverwandten Damm. So meldet er dem Bruder den Tod seines Kindes mit den Worten: Es ist Gottes Wille gewesen, dem hat es also gefallen, denn ohne Gottes Willen hätte ihr nichts widerfahren können"; und beim Tode der dritten Frau schreibt er: „weil es nun dem Allerhöchsten also gefallen, so muß ich mich hierin ergeben, daß ich so wiederum in dem betrübten Wittwerstand stehe; derselbe verleihe mir christliche Geduld". Gewiß, es entsprach einfach nur der damaligen Sitte, daß Damm bei seiner Erkrankung erst zum Priester und dann zum Doktor schickte, aber es war doch eben eine schöne Sitte, wie jenes Geschlecht sich auf das Sterben vorbereitete. Man rief den Geistlichen, man betete Tage lang mit ihm und sang Glaubenslieder, man bestimmte seinen Leichentext und legte noch auf dem Sterbebette ein fröhliches Glaubensbekenntniß ab: so hat die planmäßige kirchliche Erziehung ein Geschlecht geschaffen, das seinen Glauben liebte und das sich nicht nur in viel Gottesdiensten äußerlich zu ihm bekannte, sondern das auch in ihm fröhlich starb.

Licht und Schatten, wie jede Zeit, zeigt uns auch das Zeitalter der Orthodoxie. Und doch, so wenig wir den Glaubenshaß jener Zeit entschuldigen und das Fehlen an Liebe und mancherlei Erweisen kirchlichen Lebens beschönigen wollen, das Licht überwiegt. Gewiß, es waren harte Männer, die auf Dresdens Kanzeln selbst an den Reformationsjubiläen gegen die Andersgläubigen eiferten, aber es war auch eine harte Zeit, in der sie lebten. Es galt, dem Volke trotz des namenlosen Elends des 30jährigen Krieges seinen Glauben zu erhalten, es galt, das Volk dem Lutherthum zu erhalten, wenn es nicht in der Folgezeit nach August des Starken Uebertritt alsbald den Lockungen Roms folgen sollte. Diese Aufgabe aber hat die orthodoxe Kirche erfüllt und gerade in Dresden glänzend erfüllt. Und wenn man so gern über das Gewohnheitschriftenthum jener Zeit die Achseln zuckt: nun, die todten Gewohnheitschriften von damals sind im Stande gewesen, dem Tode ins Auge zu schauen und des ewigen Lebens gewiß zu sterben. Das hat sie ihre Kirche gelehrt, die Kirche der Orthodoxie, und eine Kirche, die das vermag, trägt bei aller menschlicher Unvollkommenheit doch das Siegel göttlichen Lebens an sich.



Aus Julius Schnorrs Tagebüchern.

XVI.

1858.

Februar.

15) Montag. Ein gewisser Herr Voigt aus Leipzig sucht mich auf, um in Angelegenheiten des Wigandschen Hauses mit mir zu sprechen. Er ist zum Testamentsvollstrecker ernannt worden… Herr Voigt zieht bei mir Erkundigungen wegen des Bibelwerks ein. Man wünschte, daß es möglich sein möchte, dem Umfang desselben eine engere Gränze als die angenommene


Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/41&oldid=- (Version vom 7.8.2024)