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der Annenkirche über „die zwo silbernen Drommeten aus 4. Mose 10“. Paul Bohr giebt 1665 einen Band „dürre Linden oder Leichenreden und Gedichte, erstes Reisgebund“ heraus, Reden, deren Art erkennbar ist aus einer nach Prov. 9 einer Frau von Erdmannsdorf gehaltenen Leichenpredigt über das himmlische Bankett der Auserwählten: 1. die lieben Gäste, 2. der milde Gastherr, 3. das prächtige Gasthaus, 4. das stattliche Traktement, 5. die ewige Währe oder Folge.

In den Predigten selbst schritt die Sprache zumeist in unglaublichem Schwulst wie auf Stelzen daher und vor Allem brachten die damaligen Geistlichen ihre ganze Gelehrsamkeit mit auf die Kanzel und prunkten dort mit Philosophie, sowie lateinischer und griechischer, hebräischer und arabischer Wissenschaft. Beweisen uns das zur Genüge die erhaltenen Predigten und zahlreichen Leichenpredigten, so wird uns vom Stadtprediger Schneider sogar ausdrücklich berichtet, daß er selbst für seine Zeit „die Philologie allzustark traktieret“ habe. Die Folge davon war, daß die Meisten aus seinen Predigten wegblieben und viele im Scherze sagten, er habe alle seine Zuhörer aus der Kirche deklinirt. Glücklicherweise kann der Chronist aber weiter berichten, daß Schneider diesen Fehler später abgelegt hat, wie sich überhaupt gegen Ende des Jahrhunderts in Dresden, Wellers und Geiers Predigten besonders beweisen es, eine sichtliche Besserung im Bezug auf die Predigtweise nicht verkennen läßt. Dagegen haben die Geistlichen nicht aufgehört, übermäßig lang zu predigen. Und wie eine 7/4 stündige Festpredigt 1630 gar nichts Sonderliches war, so gelang es noch am Anfang des 18. Jahrhunderts trotz aller Verbote und Erinnerungen Löscher nicht, die Geistlichen zu bestimmen, sich auf eine Predigt von 1½ Stunde zu beschränken.

Daß der bekannte Kirchenschlaf, um deßwillen in der Mitte des Jahrhunderts der Klingelbeutel aufkam, unter diesen Umständen auch in Dresden nicht gefehlt hat, ist erklärlich und wiederholt bezeugt. Der Kirchenbesuch selbst aber war trotz der übermäßigen Länge der Gottesdienste und trotz der theilweisen Langweiligkeit der damaligen Predigten ausgezeichnet. Haben doch im Lauf des Jahrhunderts nicht weniger als 7 Emporen in den verschiedenen Kirchen Dresdens gebaut werden müssen, um bei der sich mehrenden Bevölkerung Raum für die Kirchgänger zu schaffen. Will man zwischen dem damaligen und dem heutigen Kirchenbesuch einen Vergleich ziehen, so entspricht die damalige Bevölkerungszahl der Stadt etwa der Seelenzahl der heutigen Dreikönigs- oder Matthäusgemeinde. Für diese 20 000 Menschen wurde damals in allen alten Dresdner Kirchen Gottesdienst gehalten und es reichten also diese fünf Kirchen für den damaligen Kirchenbesuch so wenig zu, daß man zu Emporenbauten schreiten mußte. In der Frauenkirche ward die Garnison sammt den Bewohnern der eingepfarrten 26 Dörfer sogar auf dem Kirchenboden untergebracht, weil sonst kein Raum da war. Dabei wurde die Kirchendecke mit Durchschnitten versehen, um den da oben Befindlichen wenigstens einige Theilnahme am Gottesdienste zu ermöglichen. Auf die Dauer stellte sich diese Einrichtung freilich doch als unzulänglich heraus und so pfarrte man denn 1674 eine Anzahl Dörfer aus der Frauenkirche aus und nach Leuben, Leubnitz und Plauen ein. Loschwitz und Wachwitz wurden 1706 zu eigenen Kirchspielen erhoben, und es beweisen uns diese ersten Dresdner Auspfarrungen ebenso, wie die 1680 erfolgte Erhebung der Annenkirche zur wirklichen Parochialkirche nicht nur, daß die Bevölkerung damals Gottes Wort hören wollte, sondern vor Allem auch, daß das vielverrufene Zeitalter der Orthodoxie viel mehr Verständniß für kirchliche Nothstände besessen hat, als man glaubt, viel mehr auch als die anderthalb Jahrhunderte, die auf das sogenannte todtrechtgläubige folgten.

Außer durch zahlreiche Gottesdienste suchte die Kirche das kirchliche Leben durch Kirchenvisitationen zu heben, die freilich im Gegensatz zum Jahrhundert der Reformation nur recht selten und auf besondere Veranlassung hin vorgenommen wurden. Auch zeigen die Protokolle der Dresdner Visitationen von 1602, 1625 und 1672, daß sie erfolgreich nur insofern waren, als sie das gottesdienstliche Leben in der Residenz einheitlich ordneten. Dagegen erwiesen sie sich als ziemlich fruchtlos, sofern sie die aus dem 16. Jahrhundert übernommene Kirchenzucht aufrecht zu erhalten suchten. Zwar 1600 mußte Hans Blaser, der nicht zum Sakrament gegangen, öffentlich Buße thun und 1618 büßte in Altendresden ein Paar, das erst in der 18. Woche taufen ließ, öffentlich am Altar knieend diesen Verstoß gegen die kirchliche Ordnung. Dies aber sind auch die letzten Zeugnisse von in Dresden geübter Kirchenbuße. Dagegen hat allerdings die weltliche Obrigkeit fast das ganze Jahrhundert hindurch das kirchliche Leben durch Zuchtmaßregeln zu heben und fördern gesucht. So sorgt der Rath 1625 dafür, daß die Wirthe den Kindtaufsgästen nicht zuviel zu trinken geben, er verbietet während der Gottesdienste in der Annenkirche das Waschen in der Weißeritz und läßt bei der Kreuzkirche Ketten über die Straße ziehen, um das Vorüberfahren von Wagen zu hindern. Der Rath weist noch 1644 Frauen wegen Unsittlichkeit aus und erhebt bei vorehelichen Geburten 5 Thaler Strafgeld, der Rath ist es auch, der sich gegen das Eindringen der Katholiken entschieden wehrt und der dem Häuflein der Reformirten, die sich seit 1685 in Dresden niedergelassen hatten, allerlei Schwierigkeiten bereitet. Erachtete es doch bei dem damals herrschenden Staatskirchenthum die Obrigkeit einfach als ihre Pflicht, Sittlichkeit und Religion, d. h. natürlich die herrschende Staatsreligion, zu schützen.

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/39&oldid=- (Version vom 6.8.2024)