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daß er mit allen Ketzern, Papisten, Calvinisten, Wiedertäufern, Arianern und Schwarmgeistern wacker gekämpft habe und Superintendent Glaser erklärt noch auf dem Sterbebette seinen Abscheu gegen alle Ketzereien. Immerhin läßt sich nicht verkennen, daß im weiteren Verlauf des Jahrhunderts der streitbare Eifer gegen Andersgläubige allmählich erkaltete. So rühmt sich Carpzow, daß er alle Ursache zu Glaubensstreit vermieden habe und Weller erkannte, wie er sagt, daß statt der unfruchtbaren Streitigkeiten die theologia biblica wieder in die Kirche hineingebracht werden müsse; von einem Geier, der selbst von sich sagte, daß er, was er sei, durch Arndts wahres Christenthum geworden wäre, versteht sich von selbst, daß er unmöglich ein Orthodoxer der alten Schule sein konnte, und Speners bloßer Name genügt, den neuen Geist erkennen zu lassen, der am Ende des Jahrhunderts in Dresden einzuziehen begann und der auch bei Val. Löscher, dem letzten Ritter der Orthodoxie, trotz seines erbitterten Kampfes gegen die „Pietisten“ deutlich genug zu Tage tritt.

Blicken wir auf die Pflege des kirchlichen Lebens, so wurden damals der Gottesdienste in Dresden nicht weniger als 23 abgehalten „und kann jeder andächtige Christ jeden Sonntag von früh 5 Uhr bis 3 Uhr allein in Neudresden mit guter Bequemlichkeit 4 Predigten hören“. Was das Aeußere dieser Gottesdienste anlangt, so sei nur erwähnt, daß das ganze 17. Jahrhundert hindurch die Geistlichen beim Abendmahl noch prunkvolle bunte, gold- und silbergestickte Meßgewänder trugen, wie sich Reste von solchen in der Sophienkirche bis heute erhalten haben. Die Sophienkirche zeigt auch in verschiedenen Denkmälern und Reliefs, sowie in prächtigen heiligen Gefäßen aus dem 17. Jahrhundert, wie der Aufschwung der Kunst in der Renaissanceperiode auch der kirchlichen Kunst in Dresden insonderheit durch die Walthersche Schule und Nosseni zu Gute gekommen ist. Die Ordnung der Gottesdienste damals entsprach wesentlich der heutigen. Doch finden wir in der Stadt damals nicht eine, sondern in den 5 Kirchen 5 verschiedene Gottesdienstordnungen. Eine große Rolle spielte noch das Latein im Gottesdienst; zahlreich waren die lateinischen Lieder, die der Chor und besonders an den hohen Festen auch die Gemeinde zu singen hatte. Auch lasen die Geistlichen die Epistel und das Evangelium theilweis noch in lateinischer Sprache, nicht ohne daß freilich dies, wie der lateinische Kirchengesang, der Gemeinde verschiedentlich Anlaß zu Beschwerden gegeben hätte. Den Gemeindegesang jener Zeit dürfen wir uns im Allgemeinen insofern als erbaulich vorstellen, als die Gemeinde alle Lieder aus dem Gedächtniß anstimmte. Immerhin wird es bei dem fehlen eines Dresdner Gesangbuchs und der Verschiedenheit der anderwärts gedruckten unter einander im Bezug auf Text und Weise wohl öfter an der rechten Einmüthigkeit der Singenden gefehlt haben. Auch würde es uns jetzt schwerlich gefallen, wenn wir, wie es damals geschah, wieder anfangen wollten, auch die längsten Lieder glatt durch, ja oft 2 und 3 Lieder hinter einander zu singen. Im Uebrigen war Frau Musika in Dresden trefflich vertreten. Wirkte doch hier als Hofkapellmeister seit 1615 Heinrich Schütz, der größte Tonsetzer des 17. Jahrhunderts, der „Vater der deutschen Musik“. Leider wurde aber seine Musik von der Mitte des Jahrhunderts an nach und nach zumal in der Hofkapelle durch die der italienischen Hofkapellmeister verdrängt.

Gepredigt wurde im 17. Jahrhundert Sonntag früh jahraus, jahrein über die Evangelien, in den anderen Gottesdiensten dagegen meist fortlaufend über irgend ein biblisches Buch. So predigt Hofprediger Lucius in 200 Predigten über die Offenbarung Johannis, Stadtprediger Zimmermann 40 Jahre lang in 1500 Predigten über die Bücher Samuelis und der Superintendent Strauch schließt am 22. August 1635 die Auslegung des 1. Buchs Mose mit der 1130. Predigt. Konnte bei derartig fortlaufenden Predigten eine gewisse Ermüdung der Hörer nicht ausbleiben, so mußte diese Wirkung noch erhöht werden, wenn man wie Geier ein Jahr lang bei den verschiedenen Texten dasselbe Thema aufstellte. So predigte er 1666 bei allen Evangelien über „das sündliche Fleisch“, und zwar an den Adventssonntagen über das lüsterne, das sichere, das prächtige, das unvorsichtige Fleisch, an beiden Weihnachtstagen über das lauliche und eigenwillige, den folgenden Sonntag über das vergeßliche Fleisch u. s. f. 1667 war seine allsonntägliche Disposition: die erfüllte Zeit, das nahe Reich, die ernste Buße, der selige Glaube, und 1668 betrachtete er auf Grund von Matth. 3, 10 in jeder Predigt den Baum, die Frucht, den Hieb und den Brand.

Anderseits wieder suchten die Geistlichen vielfach durch besonders wirkungsvolle und eigenthümliche Dispositionen die Hörer zu fassen, wobei auch das Latein als Gelehrtensprache nicht fehlen durfte. Stadtprediger Schneider läßt eine Predigt drucken mit dem Titel: „Vivum viduitatis speculum d. i. lebendiger Witwenspiegel, in welchem gesehen wird der Witwe herzgebranntes Elend und der kräftige Trost Jesu Christi“. Desgleichen eine Jubelfestpredigt unter der Aufschrift: „Jehovah clypeus religionis Evangelico-Lutheranae cordituus aeternum flammigerans, d. i. hertzeschirmender ewigflammender evangelisch lutherischer Religions- und Glaubensschild“. Als Hofprediger Hänichen eingewiesen wird, ist der Text der „Hahnenschrei des Hohenpriesters“, und gleich geschmackvoll heißt es in seiner Leichenpredigt: „Obwohl sein Zuname etwas schwach und diminutive von Hahn, so hat doch dies Hänichen stark und helle gekrähet“. Aehnlich predigt Magister Seebisch bei der Glockenweihe

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/38&oldid=- (Version vom 6.8.2024)