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dieser starre Lutheraner freilich anderseits, in dessen Mund „du Calvinist“ das ärgste Schimpfwort bedeutete und dessen ganze unselig schwankende Politik so sehr vom Haß gegen die Reformirten bestimmt war, daß er sogar in Osnabrück noch versuchte, diese von dem Schutz des Religionsfriedens auszuschließen. Wenn aber bei den Nachfolgern Johann Georgs I. die Abneigung gegen den Calvinismus zurücktrat und ihr Lebenswandel so wenig auf kirchliche Charakterfestigkeit schließen ließ, daß in Dresdens Bürgerschaft sich sogar Besorgnisse zu regen begannen, ob sie nicht etwa zur römischen Kirche über treten würden – äußerlich zeigten sich auch Johann Georg II., III. und IV. durchaus als treue Söhne ihrer Kirche, hielten sich zu den Gottesdiensten, feierten regelmäßig das heilige Abendmahl und wollten als Vertreter der Vormacht des lutherischen Glaubens auch angesehen werden. Da mußte denn, zumal in jener Zeit unbeschränktester fürstlicher Macht, das äußerliche Lutherthum des kurfürstlichen Hofes naturgemäß auch auf die nur 15 – 20 000 Seelen umfassende kleine Residenz den nachhaltigsten Einfluß ausüben, ganz abgesehen davon, daß der Kurfürst damals jeden in Dresden anzustellenden Geistlichen zu bestätigen hatte, und daß somit an sich von dem Eindringen eines anderen Geistes, als des vom Landesherrn begünstigten streng lutherischen nicht die Rede sein konnte.

Auch das persönliche Verhältniß der Fürsten zu der Geistlichkeit mußte dem Ansehen der orthodoxen Kirche förderlich sein. Zwar die Zeiten waren vorüber, wo Hofprediger Peucer Gevatter des Kurfürsten war und wo die Kurfürstin dem Hofprediger Kademann ein wildes Schwein zum Geschenk machte und darin einen Beutel Dukaten, so daß sich der Empfänger für das Schwein bedankte, „das so gute Würste gehabt“. Dafür aber trat Christian II. seinem Hofprediger Polycarp Leyser nur entblößten Hauptes gegenüber und auch persönliche Beziehungen der Fürsten zu den Geistlichen fehlten nicht. Noch 1675 betheiligte sich der Kurfürst mit seiner ganzen Familie an der feierlichen Amtseinführung des Superintendenten Bulaeus und an dem darauf in der Pfarre zugerichteten Festmahl und als Oberhofprediger Geyers Tochter Hochzeit hielt, wohnte Johann Georg II. und der Kurprinz der Hochzeit in dessen Hause bei. Bezeichnend aber für die Stellung, die die Fürsten des 17. Jahrhunderts der Geistlichkeit überhaupt zuwiesen, ist es, daß Hoe von Hoenegg, dem zu Liebe der Titel eines Oberhofpredigers eingeführt wurde, bei den Reisen Johann Georgs I. mit den Geheimen Räthen d. i. den ersten Staatsbeamten zusammen speiste und daß Weller von Molsdorf jederzeit unangemeldet zur Audienz kommen durfte. Und wenn zuerst der Oberhofprediger und später der Dresdner Superintendent Mitglied der Censurbehörde war, wenn der Oberhofprediger bis zur Mitte des Jahrhunderts über die Aufführungen der Kurfürstlichen Kapelle thatsächlich eine geistliche Aufsicht führte, ja wenn Hoe von Hoenegg sich sogar unterfangen durfte, seinem kurfürstlichen Herrn politische Rathschläge zu ertheilen, so sind das Beweise genug dafür, welch einen Einfluß die damaligen Fürsten den Dienern der Kirche einräumten.

Aber auch ohnedies war der Einfluß der Dresdner Geistlichkeit ein außerordentlicher. Schon durch ihre Gelehrsamkeit überragte sie nicht nur weitaus die Bevölkerung im Allgemeinen, die zumeist weder lesen noch schreiben konnte, sondern auch die wenigen Gebildeten. Führte doch die große Mehrzahl der Dresdner Geistlichen den Magistertitel, die Superintendenten und Hofprediger aber waren fast alle Doktoren der Theologie und theilweis wissenschaftliche Größen ersten Ranges. Vor allem aber waren die rechtgläubigen Geistlichen Dresdens Männer von Charakter. Sehen wir von einem römischen Renegaten in Altendresden ab und von dem eigennützigen Kirchenfürsten Hoe von Hoenegg, so besteht im Uebrigen die Dresdner Geistlichkeit aus Männern untadeliger Frömmigkeit und heiliger Glaubensbegeisterung. Um ihre Glaubensfreudigkeit zu erkennen, braucht man nur die Bekenntnisse zu lesen, die sie vor ihrem Ende ablegten. An Muth aber, für ihren Glauben einzutreten, hat es ihnen erst recht nicht gefehlt. Hier straft Superintendent Glaser auf der Kanzel die Sünden des Raths und als ein Rathsmitglied sich räuspert, ruft er: „Räusper dich, wie du wilt, noch dennoch ist es wahr und doch muß ich dirs sagen“. Dort eifert Stadtprediger Schmidt in der Frauenkirche gegen die gewaltsamen Werbungen des Feldmarschalls von Schöning. Hier stellt Derselbe am Taufstein eine Frau wegen ihrer schamlosen Tracht zur Rede, dort treten Leyser und Weller, Geier und Spener kühn mit Nathansworten ihren Fürsten gegenüber und nicht ein Dresdner Geistlicher findet sich, der der Neitschütz, der Maitresse Johann Georgs II., die Absolution ertheilt. Wahrlich den Führern der orthodoxen Kirchlichkeit Dresdens war ihr Glaube nicht eine todte Formel, sondern die Kraft ihres Lebens und Sterbens und das Kleinod ihres Herzens, und es ist selbstverständlich, daß solche Männer der Sache, die sie vertraten, auch Nachdruck verliehen.

Kinder ihrer Zeit sind die Geistlichen des 17. Jahrhunderts in Dresden freilich auch gewesen. Das zeigen sie vor Allem in ihrem Eifern wider alle Andersgläubigen. Der sonst äußerst zurückhaltende und liebenswürdige Leyser verneint mit aller Entschiedenheit die Frage: ob ein Landesherr mehr als einer Religion Verwandte in seinem Lande dulden solle. Der streitbare Hoe von Hoenegg bezeichnet den Papst als Antichrist und stellt in 99 Punkten die Calvinisten mit den Muhamedanern auf eine Stufe. Dem Hofprediger Jenisch wird in seiner Leichenpredigt besonders nachgerühmt,

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/37&oldid=- (Version vom 6.8.2024)