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X. Jahrgang          1901          Nr. 3.


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Das kirchliche Leben Dresdens im Jahrhundert der Orthodoxie.
Vortrag von Pfarrer Lic. theol. Paul Flade.

Das 17. Jahrhundert ist das Jahrhundert des 30jährigen Krieges, dieses unseligsten und thränenreichsten aller Kriege, die je Deutschland zerrissen. Durch ihn ward die Weltmachtstellung des deutschen Kaiserthums auf Jahrhunderte hinaus gebrochen, ihm freilich verdankt Deutschland andererseits seine Geistes und Religionsfreiheit. In der Kirche herrschte im 17. Jahrhundert die Orthodoxie, d. i. eine strenge Rechtgläubigkeit, die gegenüber der Betonung der rechten Lehre die Bewährung und Verinnerlichung des kirchlichen Lebens theilweise versäumte, die Orthodoxie, die aber andererseits von der Wahrheit der lutherischen Lehre felfenfest überzeugt war und es vermocht hat, auch das ganze Volk mit derselben unerschütterlichen Ueberzeugung zu erfüllen. Schauen wir in diesem Jahrhundert der Orthodoxie auf das kirchliche Leben unserer Residenz, dieser viel thürmigen, starken, auch im 30 jährigen Kriege nicht eroberten Festung Dresden, deren damaligen Umfang der Kern von Alt- und Neustadt heute noch zeigt und deren Aeußeres uns aus Bildern, sonderlich auch aus deren Zusammenfassung in Richters Atlas zur Genüge bekannt ist.

Vielthürmig ist das damalige Dresden und schon damals geben die Kirchen dem ganzen Stadtbild das Gepräge. Die geringen Befestigungen und niedrigen Häuser von Altendresden, der heutigen Neustadt, überragt die schon aus dem 15. Jahrhundert stammende schindelgedeckte älteste Dreikönigskirche; höher noch erscheint über den wenigen Häusern der Fischersdorfer und Poppiter Gemeinde die Annenkirche mit dem 1619 erbauten spitzen Thurm. In der eigentlichen Festung aber tritt neben dem hohen Dach der Kirche des alten Franziskanerklosters und neben der ziemlich nichts sagenden alten Frauenkirche, der ältesten Dresdner Kirche überhaupt, besonders die Kreuzkirche hervor. Breit und massig ist das Dach; das mächtige, die ganze Stirnseite der Kirche deckende Thurmhaus aber, das oben in drei verhältnismäßig kleine, aber außerordentlich spitze Thürme ausläuft und über der Glockenstube mit vier Feldschlangen bewehrt ist, macht geradezu den Eindruck eines Theils der Stadtbefestigung und ist für das ganze Stadtbild wesentlich bestimmend.

Viel mehr noch freilich, als so äußerlich im Stadtbild, tritt uns im geistigen Leben des damaligen Dresden der Alles überwiegende Einfluß der Kirche entgegen. Und es konnte dies schon deshalb nicht anders sein, weil Dresden ja die Residenz von Fürsten war, die sich als die durch die Geschichte dazu bestimmten Schirmherren des orthodoxen Lutherthums ansahen. Hier residirte Christian II., der die Ableistung eines Eides auf die Concordienformel allen öffentlichen Beamten zur Pflicht machte und der auf seinem Sterbebett den Lehrer des nachmaligen Johann Georg I. mahnte, diesen streng in der kirchlichen Rechtgläubigkeit zu erziehen: „Wenn ihr das thut“, sprach er, „wird es euch wohl ergehen, wo aber nicht, so hol euch der Teufel“. Hier in seinem prächtig erneuerten Schlosse wohnte Johann Georg I., dieser warmherzige Evangelische, der stets Luthers Siegelring am Finger trug, der den böhmischen Exulanten Aufnahme in Dresden gewährte und der 1617 und 1630 große Reformationsjubiläen veranstaltete,


Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/36&oldid=- (Version vom 6.8.2024)