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Daß die späteren französischen Historiker Dresden als „victoire“ betrachten, ist nicht wunderbar. Wir brauchen uns mit ihnen erst gar nicht zu beschäftigen, da ja schon die Mehrzahl ihrer deutschen Kollegen derselben Ansicht ist. Nur auf Bertin[1] will ich verweisen, der in seiner campagne de 1813 Berichte von témoins oculaires zusammenstellt. Zur Sache selbst erfahren wir freilich nicht viel Neues. Wie subjektiv da geurtheilt wird, ersehen wir aus den Worten eines Gewährsmannes, des Barons Paul de Bourgoing (souvenirs d’histoire contemporaine. 1864.): „,. . . cette victoire, l’une des plus glorieuses que Napoléon ait remportées. . ."

Auch auf einzelne französische Briefe, die überliefert sind, brauchen wir nicht einzugehen; die einen schildern den großen Sieg des Kaisers, bei den anderen erhält man kaum den Eindruck irgend welcher ernstlicher Gefechte. Daß überhaupt, als alles Andere mißlang, vor der großen Oeffentlichkeit Siegeshynen angestimmt wurden, ist nicht wunderbar. Die französisch-offiziöse Presse in Deutschland wurde zu der Lächerlichkeit gezwungen, fast einen ganzen Monat lang, bis zum Ende September, ihren Lesern Nachrichten über den Dresdener Sieg aufzutischen. Ein vortreffliches Beispiel zur Naturgeschichte der offiziösen Blätter giebt hier die „Leipziger Zeitung“. Am 4. September bringt sie eine „Authentische Darstellung“ der Dresdener Begebenheiten. Zur Charakteristik gebe ich nur einige Stellen aus der Schilderung des 27. August wieder:

„Um 9 Uhr waren alle Truppen vorgedrungen. Sie hatten schon allenthalben den Vortheil. Die Bataille hatte sich auf der ganzen Linie ausgebreitet. Um 3 Uhr Nachmittags waren der rechte und linke Flügel des Feindes zurückgeworfen . . . Man hatte jedoch das Zentrum in seiner sehr vortheilhaften Position noch nicht angreifen können. Die Niederlage der beiden Flügel mußte seinen Fall von selbst herbeiführen. Die alliirte feindliche Armee hat unendlich gelitten. Die Manövers, die vor ihren Augen entwickelt wurden, brachten sie vom ersten Augenblick an in Unordnung.“ Und als Resultat hören wir zum Schluß: „So war die große Armee, die in wenigen Stunden Meister von Dresden zu sein hoffte, in ebenso weniger Zeit auseinander gesprengt und fast aufgelöst. Welche Lehre an einem einzigen Tage!“ „Sie hat in einem einzigen Tage ein Dritttheil ihrer Mannschaft verloren.“ „Es giebt wenige Exempel, eines ähnlichen Unglücks, das eine neue, anscheinlich vom patriotischen Enthusiasmus aufgereizte, alle offensiven und defensiven Vortheile für sich habende Armee betroffen hätte. Man kann die Vorfälle von Dresden nur mit denen von Ulm vergleichen“ u. s. w.

Am 11. September bringt die „Lpz. Ztg.“ einen Artikel aus Freiberg über dasselbe Thema; er beginnt:

„Die große russische, österreichische und preußische Armee, welche am 27. August vor Dresden geschlagen, zerstreut und wie von einem Donnerschlage vernichtet wurde, stand unter dem unmittelbaren Befehl des Kaisers Alexander“ u. s. w.

Vom 20. September an veröffentlicht die Zeitung die ständigen Berichte, welche der Gemahlin Napoleons über die Kriegsereignisse nach Paris zugesandt wurden. An diesem Tage lesen wir auch die Nachricht, daß die Verbündeten bei Kulm geschlagen worden seien. Am 21. September erfahren wir von Paris her Neues über den Dresdener Sieg Napoleons; die Verluste der Verbündeten werden auf 60 000 Mann beziffert. Auf demselben Wege hören wir jetzt auch Näheres über Kulm. Es sei Vandamme gelungen, die Alliirten zu schlagen, wobei General Kleist gefallen sei. Allein dann habe sich das Glück gewandt; Vandamme sei tödlich verwundet worden; doch seien die Verluste der Franzosen nicht viel größer als die der Verbündeten. „General Vandamme verdient bedauert zu werden. Er starb auf dem Felde der Ehre; ein neidenswerther Tod für jeden Tapferen.“

Erst am 29. September konnte die Zeitung von Paris her halb verschleiert die Nachricht von der Gefangennahme Vandammes und vorsichtige Andeutungen über die Schlachten bei Kulm und an der Katzbach bringen. Bis zu den letzten Septembertagen also ist nichts von den zahlreichen Verlusten der napoleonischen Armee offiziell laut geworden. Da man aber auch von keinen Siegen zu melden hatte, so zehrte man ordentlich von den Dresdener Ereignissen. Am 22. September publizirt die „Lpz. Ztg.“ einige Privatschreiben, die am 28. bezw. 30. August nach Paris gesandt worden waren. Es heißt in ihnen:

„Wir haben, ohne einen Verlust zu erleiden, die furchtbare österreichische Armee beinahe aufgerieben.“ „Nie waren des Kaisers Manöver glänzender und besser kombinirt. Wir verfolgen unsere Siege, sie übersteigen alle Glaubwürdigkeit.“

Allerdings überstiegen sie – ganz wie diese Meldungen – alle Glaubwürdigkeit!

Nur ganz langsam und mit vorsichtigster Verhüllung drangen richtigere Nachrichten auch in diesen Blättern durch. Dann kommt plötzlich die Wendung. Am 5. Oktober lesen wir noch einen heftigen Schmähartikel gegen Bernadotte – am 21. desselben Monats hören


  1. Dies Buch, das wohl erst neuerdings in Paris erschienen ist (es fehlt die Jahreszahl), glänzt durch eine Fülle von Flüchtigkeiten. Die Schreibweise für „Katzbach“ ist gewöhnlich „Kalzbach“ oder „Ratzbach“. Unter der Ueberschrift „Bataille de Dresde, 26. – 27. Aout“ finden wir zwei Berichte der Schlacht an der Katzbach – u. s. w. Das Aeußere dieses Buches schmückt das – eiserne Kreuz!
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/304&oldid=- (Version vom 14.8.2024)