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es habe bei Dresden den wälschen Kaiser „noch einmal, zum letzten Male auf deutschem Boden, die Herrlichkeit des Sieges umstrahlt“.

So schön diese Phrase auch klingt – sie ist nicht wahr. Wenn ich nun in wenigen Sätzen die Reihe der Ereignisse darzustellen versuche, so muß ich für alle Einzelheiten und besonders deren Begründung auf meine Sonderuntersuchung hinweisen.

Die kombinirte böhmische Armee erhält Nachrichten, nach denen Kaiser Napoleon gegen die schlesische bezw. die Nordarmee marschirt sei. Dem allgemeinen Programm gemäß verläßt erstere jetzt Böhmen; sie geht nach Sachsen, bedroht Dresden, den Mittelpunkt der Operationen Napoleons, und erreicht, was sie gewollt: die Ablenkung des Kaisers von den beiden anderen Armeen, deren Siege über die einzelnen französischen Generäle – Großbeeren, Katzbach, Hagelberg – durch das Verhalten der Hauptarmee erleichtert oder erst ermöglicht werden. Dem Programm getreu läßt sich die Hauptarmee nicht in einen Entscheidungskampf mit Napoleon ein; am 26. August sieht sie, da nach der Ankunft des Kaisers ein „coup de main“ auf Dresden nicht mehr gelingen könne; am 27. liefert sie, um Zeit für die Rückdirigirung ihres Trosses zu gewinnen, Rückzugsgefechte, die sich im Ganzen auf eine lebhafte Kanonade beschränken. Nur auf den Flügeln kommen größere Truppentheile ins Nahgefecht. Gegen den linken Flügel der Verbündeten erringt Napoleon Erfolge, gegen Zentrum und rechten Flügel vermag er nichts. Seine eigenen Verluste sind beträchtlich. Napoleon erwartet, daß die Verbündeten, die nichts weniger als besiegt sind, am 28. August sich ihnen zur wirklichen Schlacht stellen werden. Aber deren Programm ist erfüllt, sie gehen nach Böhmen zurück. Napoleon täuscht sich in ihrer Rückzugslinie, wodurch eine Verfolgung illusorisch wird. Auf dem Rückzuge vernichten die Alliirten noch das Korps Vandamme in der Schlacht von Kulm und Nollendorf, und weiterhin erreichen sie dann ungefährdet Böhmen.

Die Mission ist also – von Einzelheiten abgesehen, die auf den Gang des Ganzen keinen Einfluß hatten – bestmöglich erfüllt worden: Die Hauptarmee hat Napoleon auf sich gezogen, hat ihm an zwei Tagen ohne größere Verluste und ohne daß es zur eigentlichen Schlacht kam, die Stirn geboten und erfocht zuletzt, als sie programmgemäß zurückging, den Sieg über Vandamme.

Diesen klaren und günstigen Verlauf der Dinge nun hat die Legende merkwürdig entstellt und verfälscht. Die Frage, wie solche Legendenbildung entstanden ist und entstehen konnte, soll uns im Folgenden beschäftigen. Wir werden zusehen, welche Beurteilung der Dresdner Zug bei den Mitkämpfern, den Kommandirenden, den Berichterstattern, der Presse und der späteren Darstellung gefunden hat.

Fassen wir zunächst ins Auge, wie die Verbündeten selber geurtheilt haben.

Die offiziöse Darstellung, wie sie uns in Armeebefehlen, Briefen, Zeitungsartikeln u. s. w. erhalten ist, deckt sich – das werden wir sofort sehen – im Ganzen etwa mit dem thatsächlichen Hergang der Ereignisse.

Der offizielle Bericht des Kgl. Preußischen. Militär-Gouvernements (Stargard, den 5. September 1815) besagt:

„Ein Theil der kombinirten Böhmischen Armee konzentrirte sich am 26. August vor Dresden und machte den Versuch, diese Stadt mit einem coup de main zu nehmen. Obgleich der Angriff am 27. August wiederholt und von den vereinten Truppen mit außerordentlicher Tapferkeit gefochten ward und einige Schanzen genommen wurden, so konnte der Zweck doch nicht erreicht werden, da der Kaiser Napoleon sich in der Stadt mit einer bedeutenden Macht befand, welche den starkverschanzten Platz hartnäckig verteidigte. Die kombinirte Armee zog sich darauf gegen Böhmen zurück.“[1]

Das vom Hauptquartier Teplitz am 31. August herausgegebene Extrablatt beginnt mit den Worten:

Der Feind hatte sich über die Ursache unserer rückgängigen Bewegungen getäuscht[2] und unternahm es, uns einzelne Korps nachzusenden.“

Der Armeebericht aus dem Hauptquartier des Fürsten Schwarzenberg vom 29. August, den ich dem „Oesterreichischen Beobachter“ vom 8. September entnehme, enthält u. a. folgendes:

„Der 26. wurde dazu verwendet, durch eine starke Rekognoszirung gegen Dresden . . . die Haltung und Gegenwart des Feindes zu erforschen.“ „Während des Gefechts erfuhr man, daß der Kaiser Napoleon mit seinen Garden zur Unterstützung in der Stadt angekommen war. . . Man schloß daraus, daß die französische Armee Schlesien geräumt habe und also eine vorzügliche Absicht der gemachten Unternehmung erreicht war. Unter diesen Umständen


  1. Die offiziösen Berichte sind größtentheils auch den Tageszeitungen zum Abdruck übergeben worden. – Beitzke in seiner „Geschichte der deutschen Freiheitskriege“ I S. 373 rügt nun diese Zeitungsberichte. In ihnen sei von „einem Theil der böhmischen Armee“ die Rede, die Ankunft Napoleons wäre nach ihnen Grund für den Rückzug gewesen, und schließlich sei die Unternehmung auf Dresden nur „eine große Auskundung“ genannt worden. . . . Mit Unrecht entrüstet sich Beitzke: jene Zeitungsberichte stellten die Dresdener Unternehmung historisch getreuer dar als er in seinem Buche!
  2. D. h. Wir sind nicht zurückgegangen, weil wir (wie der Feind annimmt) geschlagen sind, sondern aus anderen Gründen, nämlich weil ein Rückzug unserem Programm entsprach!
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/300&oldid=- (Version vom 13.8.2024)