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X. Jahrgang          1901          Nr. 2.


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Johannes Drändorff,
der erste mit Namen bekannte Kreuzschüler.
Von Rektor Prof. Dr. Otto Meltzer.

Das Bestehen der Schule in unserer Stadt, aus welcher das heutige Gymnasium zum Heiligen Kreuz hervorgegangen ist, wird bekanntlich zuerst durch eine urkundliche Nennung ihres Leiters aus dem Jahre 1300 bezeugt. Aus beträchtlich späterer Zeit allerdings erfahren wir zum ersten Male auch den Namen eines ihrer Schüler. Dieser aber ist zugleich eine in manchter Hinsicht bedeutsame, für die Zeit bezeichnende Persönlichkeit geworden; und mag sein Aufenthalt in Dresden nur von kurzer Dauer gewesen sein, so waren die Anregungen, die er nach seinem eignen Bekenntniß hier empfing, doch von so entscheidendem Einfluß auf seinen merkwürdigen weiteren Lebensgang, daß wohl auch an dieser Stelle einmal von ihm die Rede sein darf.

Es war Johannes Drändorff[1], der am 17. Februar 1425 zu Heidelberg als Ketzer den Scheiterhaufen besteigen mußte.

Näheres über ihn ist, nachdem schon Luther und Melanchthon ihn als Blutzeugen des Evangeliums vor der großen Kirchenreformation in Kürze rühmend erwähnt hatten, allerdings erst seit 1730 bekannt geworden, wo J. E. Kapp einen größeren Theil der Akten des Heidelberger Inquisitionsprozesses veröffentlichte. Durch weitere Funde und Forschungen, insbesondere diejenigen des Gießener Oberbibliothekars Prof. Dr. H. Haupt[2], ist dann der vorliegende Stoff erheblich bereichert und geklärt worden. Auf ihnen beruht in allen wesentlichen Theilen, was ich hier zu bieten vermag.

Es war ein verworrener Zustand in Deutschland um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, Zerklüftung und Zersplitterung überall: eine einheitliche Leitung des Reichs, zeitweilig selbst der Form nach, nicht vorhanden, – in einzelnen Herrschaftsgebieten wohl ab und zu ein straffer zusammengefaßtes Regiment, doch in der Regel zugleich nur auf die Befriedigung von Sonderinteressen abzielend, – größere Machthaber den kleineren nach ihrer Selbständigkeit trachtend und beide zusammen den Städten, die, während der letztvergangenen Jahrhunderte als ein neues, that- und wehrkräftiges Element im Reiche emporgewachsen, doch auch selbst wieder vielfach innerlich gespalten waren, indem von unten her sich Kräfte bemerklich machten, die Antheil an der Leitung der öffentlichen Dinge, wenn nicht noch mehr, begehrten und nach einer gründlichen Umgestaltung der bestehenden Eigenthumsverhältnisse mit stürmischem Eifer trachteten. Demokratische, sozialistische, kommunistische Bestrebungen fanden in den unteren Schichten der städtischen Gemeinden und auch in der Bauernschaft mannigfache Vertretung.

Daneben aber ging her und floß vielfach damit zusammen eine tiefgreifende religiöse bewegung, die unter Berufung auf die allein als maßgebend anerkannte

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/24&oldid=- (Version vom 26.8.2024)
  1. Er selbst nennt sich bei seinem Verhöre und unterschreibt sich so; die Akten nennen ihn gewöhnlich gleichfalls so, daneben aber auch Johannes von Drändorff.
  2. Seine neuesten Veröffentlichungen über Drändorff in der Realencyklopädie f. protest. Theologie und Kirche, 3. Aufl., herausg. von A. Hauck, Bd. 5, Leipzig 1898, S. 17 f., und in der Zeitschr. für die Geschichte des Oberrheins, neue F. 15, Karlsruhe 1900, S. 479 ff., geben zugleich alle erwünschten weiteren Nachweise.