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Dresdner Missionsverein gegründet, der es sich freilich zunächst gefallen lassen mußte, sich als gefährlicher Konventikel sogar polizeilich beobachten zu lassen. Gewiß, es blieben die Positiven zunächst in Dresden noch lange in der Minderzahl, und die Gönnerschaft des einflußreichen Grafen von Einsiedel schadete ihnen in den Augen der Menge, die in diesen Frommen nur Streber sah, die durch Einsiedel etwas für sich erreichen wollten. Es folgte auch auf Reinhardt in von Ammon ein Mann, dessen „in allen Farben schillerndes Christenthum fast auf allen Punkten mit dem Bekenntniß der Kirche im Widerspruch stand“. Und es war für jene Lutheraner endlich ein schwerer Schlag, als der von ihnen so hoch gefeierte Stephan sich schließlich als ein Mensch entpuppte, bei dem das Fleisch den Geist, der ihn zuerst sicherlich beseelte, völlig in Fesseln geschlagen hatte. Aber alles das hat doch die immer steigende Ausbreitung ernstgläubiger Kirchlichkeit in Dresden nicht gehindert.

Schon 1818 und 1819 treten ein Schlosser- und Bäckerssohn aus der Kreuzschule aus, um in Basel sich für den Missionsdienst vorzubereiten, gewiß ein Zeugniß für opferfreudiges Christenthum in den Bürgerkreisen, und wenn auf die Gründung der Bibelgesellschaft und des Missionsvereins am 6. Dezember 1832 diejenige eines Gustav Adolf-Zweigvereins und 1844 diejenige der Diakonissenanstalt folgte, so erkennen wir, daß der neu erwachte Glaube auch immer mehr anfing, in der Liebe thätig zu werden. Noch freilich war die offizielle Kirche in ihrer Mehrheit vom Geiste der Aufklärungszeit beherrscht, und bei der Gründung der Diakonissenanstalt erklärte Superintendent Heymann ausdrücklich, daß er nicht amtlich, sondern nur als Privatmann erschienen sei. Doch als 1850 durch Einsiedel Harleß zum Oberhofprediger nach der Residenz berufen ward, da war die Zeit des Rationalismus völlig dahin. Nur die Alten waren es noch, die auf Dresdens Kanzeln sich weiter in leeren rationalistischen Deklamationen ergingen. Das junge Geschlecht athmete wieder Lutherthum, und Rationalismus fand man alsbald nur noch dort, wo sich eine verhältnißmäßige Minderzahl zur Vertheidigung einer doch verlorenen Position im Protestantenverein zusammen fand.

So trägt denn die Zeit der Aufklärung durchaus den Charakter einer Uebergangszeit: erst eine alte rechtgläubige Form, die stückweise zersprengt wird durch den Geist des nüchternen, von Gefühlsseligkeit übertünchten Rationalismus. Und doch, diese Negation kann den Sieg nicht behalten. Nur die Position hat ihr Recht; so blüht auch aus den Trümmern des vom Aufklärungsgeiste zerfressenen Kirchenthums neues Glaubensleben hervor. Freilich, nicht die Kirche war die Führerin zum Neuen, sondern aus den Tiefen der Volksseele rang es sich hervor, nicht an alten schön festgestellten Lehren nährte es sich, sondern an der Bibel selbst. Und doch so durchaus entsprach der neugeborene Glaube dem Geiste des alten, daß schließlich auch die offizielle Kirche, in der ja dem Namen nach das Lutherthum allzeit geherrscht hatte, sich selbst wieder zu ihm bekannte. Anderseits, als dann um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Rationalismus überwunden war, bietet doch das lutherische Leben Dresdens ein ganz anderes Bild, als es das Dresden unter dem altorthodoxen Lutherthum zeigt. Mit der äußeren Herrschaft der Kirche ist es vorüber. Die Aufklärungszeit hat den modernen Menschen geboren, der sich in äußere Formen nicht zwingen läßt. Was zuerst nur in einzelnen geistesmächtigen Persönlichkeiten, was dann in den auch in Dresden uns entgegentretenden literarischen Kreisen sich zeigt, daß ein freies geistiges Leben sich von der Kirche durchaus unabhängig und abseits von ihr entwickelt, das wird schließlich ganz allgemein und selbstverständlich. So aber wies die Aufklärungszeit der Kirche der Zukunft zugleich eine ganz neue vorher nie gekannte Aufgabe. Die Kirche soll nicht mehr eine äußere Schutzmauer wider Unglauben und Irrglauben sein, sondern das Netz, das auf immer neue Weise nach jeder Seele ausgeworfen wird und das so schließlich das ganze Volk für das Evangelium gewinnt. Daß aber die Kirche der Gegenwart das jetzt weiß und darnach zu handeln sich bemüht, das verdankt sie den Lehren der Zeit, aus der sie erwuchs, der Zeit der Aufklärung.



Vereinsangelegenheiten.
Neu aufgenommene Mitglieder:
von Anderten, Volkmar, Major z. D.
Aßmann, Bruno, Dr. phil., Realgymnasialoberlehrer.
Ballbach, Heinrich, Kaufmann.
Bartsch, Clemens, Zahnkünstler.
Bartsch, Moritz, Rathssekretär.
Bähr, Cl. Ludw., Telegraphendirektor.
Becker, Franz, Kaufmann.
Becker, Ernst, Regierungsrath.
Bongers, Johannes, Fabrikbesitzer.
Bouché, Friedrich, Kgl. Obergartendirektor.
Bürck, Robert, Musterzeichner.
Büttner, Eugen, Kaufmann.
Clemen, Jul. Otto, Kaufmann.
Collins, Wilhelm, Privatus.
Colditz, Arthur, Kaufmann (Chemnitz).
Dießner, F. Wilhelm, Institutslehrer.
Dreßler, Ernst, Drogist.
Ebert, Walter, Techniker.


Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/130&oldid=- (Version vom 23.10.2024)