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Walther Kabel: Doppelhändigkeit. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 9. Bd., S. 167–170

seine inneren Organe sind je nach Bedarf ungleichmäßig verteilt, die beiden Hälften des Gehirns werden nicht in gleichem Maße vom Blut versorgt, und auch die Lage der Gehirnteile, in denen das Sprachvermögen seinen Sitz hat, ist eine ungleichmäßige. Das Herz und die von ihm ausgehenden großen Hauptschlagadern liegen auf der linken Seite. Man hat durch Experimente nachgewiesen, daß die linke Halsschlagader dreimal soviel Flüssigkeit aufzunehmen vermag als die rechte. Die linke Gehirnhälfte wird daher in höherem Maße mit Blut versorgt, d. h. besser ernährt, und, da sie den Funktionen der entgegengesetzten Körperhälfte vorsteht, so wird sich diese, also die rechte, stärker entwickeln als die linke. Tatsächlich ist denn auch die rechte Körperhälfte nicht nur bezüglich ihres Umfangs und Gesamtgewichts, sondern auch hinsichtlich des Gewichts der Organe, Muskeln und Nerven, die bevorzugte. Dies alles deutet darauf hin, daß die Natur dem Menschen mit seiner rechten Hand das wertvollere Arbeitsinstrument hat geben wollen.

Daß die Bevorzugung der rechten Hand, die durch den anatomischen Bau des menschlichen Körpers bedingt ist, sich durch Erziehung und Übung in Doppelhändigkeit unschwer umgestalten ließe, beweist die Tatsache des häufigen Vorkommens der sog. Linkshändigkeit, bei der die Linke an Stelle der rechten Hand die Führung der Arbeitswerkzeuge und andere krafterfordernde Handgriffe und -bewegungen übernimmt. Jedes Kind ist zunächst ambidexter, doppelhändig. Der Säugling greift mit beiden Händen nach der Klapper, wie man leicht beobachten kann. Erst mit der weiteren Ausbildung des Sprachenzentrums, das in der linken Gehirnhälfte untergebracht ist, wird nachgewiesenermaßen dieser Gehirnhälfte mehr Blut zugeführt, und damit beginnt dann die naturgemäße Hirnneigung zum stärkeren Gebrauche der rechten Hand. Hierbei muß das Kind durch die Erziehung, d. h. durch Gewährung an die hauptsächliche Benutzung der Rechten, unterstützt werden. Wo dies vernachlässigt wird, entwickelt sich besonders bei schwächlichen Kindern unter gewissen anderen Bedingungen dann die Linkshändigkeit.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Doppelhändigkeit. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 9. Bd., S. 167–170. Verlag der Bibliothek für Alle, Dresden 1912, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Doppelh%C3%A4ndigkeit.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)