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Durch Schicksale der Geschichte kann die Nation aus ihrer ursprünglichen Heimath entfernt werden. Ihre Mitglieder können in verschiedene Theile des Erdbodens zersprengt sein, bewahren sie freiwillig oder gezwungen die Reinheit der Ehe, so hören sie nicht auf durch Geschlechter hindurch ihrer Familie anzugehören.

So gehören Geschwisterkinder, deren Eltern Bürger verschiedener Länder waren, einer Familie, verschiedenem Vaterlande an. Griechen im Alterthum, Armenier in neuerer Zeit geben davon bemerkenswerthe Beispiele.

Die Nation kann ihre Sprache aufgeben, ohne ihren Begriff aufzuheben. Derselben Mundart können sich verschiedene Nationen bedienen.

Die Römer haben die celtischen Mundarten in einige Winkel gedrückt. Die Bulgaren haben ihre Sprache mit der slavischen vertauscht. Aber selbst für den Preis einer erwünschten Weltsprache wird Niemand sich opfern wollen.

Die Nation hat ihre in ihrem Schooße erwachsenen Eigenthümlichkeiten der Sitten, wie jeder Familie ihre Traditionen und Gebräuche heilig sind. Weil sie ihren Keim im Gemüthe haben, sind sie dauervoll; sie umschlingen die Nationalsprache, die sich nicht selten von ihnen nährt; sie sind als das Produkt der Nation als solcher zu achten, als Originale eines Individuums anzuerkennen, nur als Innerliches über den Maßstab äußerlichen Werthes zu stellen und nur im heimathlichen Leben bedeutungsvoll.

Die Nation kann ihren eigenen Gottesglauben haben, aber sie muß nicht. Die Uebereinstimmung religiöser Meinungen bildet keine Nation.

Westeuropa hat sich in Religionskriegen zersplittert, ohne den nationalen Wesenheiten Eintrag zu thun. Das Christenthum erlitt deßhalb Verfolgungen im römischen Reich, weil es nicht die Ueberzeugung einer Nation, sondern Einzelner aus verschiedenen Stämmen war. Es wird für den Begriff des Christenthums gehalten, über Nationalschiedenheiten stehend, Weltreligion zu sein.