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Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z

vom Himmel zu erbitten. Zugleich bat er um ihre fernere Freundschaft, da er nicht einsehen könne, daß die zärtliche Seelenverbindung, oder die zwischen ihnen Statt gefundene Freundschaft, die stets so rein und uneigennützig gewesen, um ihrer Vermählung willen gebrochen werden müsse. Er hoffe übrigens, daß ihre Seelen sich in dem Lande der Seligen wieder erkennen würden, wenn er sie gleich in diesem Leben nicht wieder zu sehen wünschte. – In spätern Jahren versicherte er einem Freunde, seine Leidenschaft für Sophie habe sich bis zum Jahr 1755 zu einer ganz ruhigen Freundschaft umgestimmt, wenn Beide auch nie ganz gleichgültig gegen einander wurden. Als Wieland im Jahr 1760 nach Biberach zurückkam, um dort die Stelle eines Raths anzutreten, konnte er es, seinem frühern Vorsatz entgegen, sich doch nicht versagen, seine Freundin zu Warthausen, wo sie sich damals aufhielt, zu besuchen. – Frau la Roche saß eben am Fenster, der Thür gegenüber, von ihren Kindern umringt. Auf sein Klopfen, rufte sie, wie von einer Ahnung ergriffen, auf das fröhlichste „herein Wieland!“ und ging ihm, da er, den Ton ihrer Stimme hörend, von mancherlei Empfindungen und Erinnerungen bedrängt, die Thüre nicht aufbringen konnte, sie zu öffnen, entgegen. Mit dem herzlichsten Willkommen bot sie ihm die Hand, sprachlos stand er da und ließ den Hut, den er unter dem Arm trug, fallen. Indem erblickte er ihren ältesten Sohn, einen bildschönen Knaben, nahm ihn zu sich auf das Sopha, beugte sich über ihn hin und benetzte ihn mit einem Strome von Thränen. Bald nach diesem Auftritt trat der Gemahl ins Zimmer.

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Carl Wilhelm Otto August von Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Zweiter Theil, M-Z. F. A. Brockhaus, Leipzig 1825, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_deutschen_Schriftstellerinnen_(Schindel)_II_190.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)