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Cremona und ist vielleicht die Arbeit seines Bruders Bartolommeo Boccaccio. Auf jeden Fall gehört dieß Gemälde den letzten Jahren des 15. oder wohl dem Anfang 16. Jahrhunderts an und ist nicht, wie es im Katalog heißt, „im Stil der Frühzeit des 15. Jahrhunderts“. Doch das ist wohl ein Druckfehler oder ein lapsus calami, und ich bin nicht gewillt, den Herrn Professor Marggraff für einen so groben Schnitzer verantwortlich zu machen; wofür ich ihn aber verantwortlich machen muß und zwar im Namen jener Kunstwissenschaft, der dieser sein Katalog, wie der Verfasser in der Vorrede gesteht, schon so erhebliche Dienste geleistet, ist, den Boccaccio Boccaccino zu einem der „glücklichsten Nachahmer des Pietro Perugino“ rundweg gestempelt zu haben. Es wäre auch wohl klüger gewesen, wenn er die Bemerkungen, die er bei dieser Gelegenheit über die künstlerische Entwicklung des Girolamo dai Libri zum besten giebt, für sich behalten hätte. Girolamo dai Libri ist nämlich in allen seinen uns bekannten Werken ein durch und durch veronesischer Maler und nichts weniger als das Zwitterding, halb Mantegna, halb Giambellini, wie Herr Professor Marggraff uns denselben darstellen möchte.

Von diesen Pseudolombarden gehen wir über zu der Besichtigung der Werke der eigentlichen lombardischen Malerschulen, d. h. derjenigen, die ihren Sitz zwischen dem Po und der Adda hatten, in den Städten Lodi, Pavia, Vercelli und deren geistiger Brennpunkt Mailand war.

Die Schule von Lodi, deren Hauptvertreter Albertino und Martino Piazza und dann des letztern Söhne Calisto und Scipione waren, ist wenig bekannt, selbst in Italien, ja in der Lombardei. So findet sich auch kein einziges Werk dieser Schule weder in deutschen noch in russischen Sammlungen. Wenn in München Werke der Vercellesen wie die Oldoni, Gaudenzio Ferrari, die Giovenoni, Defendente Ferrari, Lanini, Grammorseo u. a. fehlen, so besitzt diese Sammlung doch ein echtes Bildchen von Giovanantonio

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)