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das wie Albino im Seriothale liegt, und ließen sich um’s Jahr 1438 in Brescia als Kaufleute nieder. Das früheste mit der Jahrzahl bezeichnete Bild von Moroni, das mir bekannt ist, hängt in der Berliner Galerie und ist vom Jahre 1553. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß Moroni nicht schon früher Bilder gemalt habe. Von seinen frühesten Arbeiten kenne ich etliche theils in der Stadt theils in der Provinz Bergamo. So, um nur ein paar davon hier anzuführen für denjenigen, der diesen Meister genauer zu kennen wünscht, eines in der Pfarrkirche von Gorlago, wohl das dem Moretto am nächsten stehende Bild des Moroni,[1] und ein Christus, Brustbild im Profil in der Communalgalerie von Bergamo.

Kein Porträtmaler hat es je verstanden die epidermis des menschlichen Gesichts getreuer und mit größerer Wahrheit auf die Leinwand festzubannen als Moroni; seine Bildnisse sehen zwar alle mehr oder minder nüchtern aus, müssen aber sammt und sonders jene frappante Aehnlichkeit mit dem Original gehabt haben, die das große Publikum entzückt und bei deren Anblick es ausruft: ja ganz wie er leibt und lebt! Moroni sah eben mit den Augen des großen Publikums seine Leute an; er war kein Poet im wahren Sinne des Wortes, wohl aber ein ausgezeichneter Maler. Hie und da vermag er indessen auch Außerordentliches zu leisten und durch die Oberfläche in die Seele seiner Leute zu dringen. In solchen Fällen dürfen seine Bildnisse denen Tizian’s gleichgestellt werden.


  1. An der Wand links von der Thür unter dem Namen des Ceresa; es stellt Christus mit dem Kreuze schwebend in einer Glorie von Engeln dar; unten auf der Erde Johannes der Täufer und ein Heiliger in kriegerischer Rüstung, beide knieend. Die Engel, wie ebenfalls der h. Krieger sind dem Moretto entnommen. Die Zeichnung in diesem Jugendbilde des Moroni ist sehr sorgfältig, aber etwas ängstlich. Die Kopfform des Christus erinnert fast mehr noch an Romanino, als an Moretto. Wahrscheinlich wurde dieß Gemälde von Moroni noch in Brescia selbst, d. h. im Atelier seines Lehrers ausgeführt. Auf Leinwand.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)