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übt es noch immer einen gewaltigen Eindruck auf den Beschauer aus.[1]

No. 492. Ein Mann in schwarzer Kleidung. Perlen und andere Kleinodien liegen vor ihm auf einem Tische; dahinter eine Frau. Dieß verdorbene, aber trotzdem noch immer interessante Gemälde wurde schon von den Herren Cr. u. Cav. mit richtigem Blicke dem P. Bordone zurückerstattet (II, 487). Dr. Marggraff hält es für ein „ Schulbild“ Tizian’s. Von Paris Bordone scheint man überhaupt in München keinen klaren Begriff zu haben, sonst hätte man wahrlich nicht die flache, geistlose Kopie nach diesem reizenden Coloristen (Saal 7, 483) so lange Jahre für dessen eigenes Werk dem geduldigen Publikum vorstellen dürfen. Ja gegenwärtig noch wird diese langweilige Kopie von s. g. Künstlern kopirt. Und dann sage man noch, daß man ausübender Maler sein müsse, um die alten Meister zu verstehen. Fast wäre man geneigt, das Gegentheil als Axiom aufzustellen. Die von Tizian geliebte Violante, Tochter des Palma, ist übrigens eine Fabel – da Palma wohl eine Nichte, die Magdalena hieß, aber keine Tochter gehabt hat.

No. 496. Das Porträt Carl’s V. Echt und schön. Die Landschaft darauf, mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit hingeworfen, erinnert in den Tönen lebhaft an die Landschaften des Rubens; man besehe sich z. B. auch die Bilder No. 279 und 260 des P. P. Rubens. Dieser scheint übrigens erst nach seiner Gesandtschaftsreise nach Madrid den Tizian auch in der Landschaft sich zum Muster genommen zu haben.

Der Kaiser sieht kränklich und verstimmt aus. Ich glaube, dieß Bildniß muß um einige Monate früher entstanden sein


  1. Die Herren Cr. u. Cav. (II, 485) glauben, es könnte vielleicht dem Tintoretto angehören; allein sowohl die Auffassung als die Darstellung scheinen mir in diesem Porträt viel zu einfach für ihn; auch ist der Pinselzug des Tintoretto ein ganz anderer. Zu meiner Schande muß ich bekennen, daß ich vor diesem Bilde ganz rathlos stehe.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/65&oldid=- (Version vom 31.7.2018)