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wir, daß 1511, nach dem Tode Giorgione’s, Tizian manches unfertige Werk seines Meisters und Freundes vollendet habe. Giorgione’s Einfluß sehen wir aber nicht nur in den Jugendwerken des Cadoriners, er leuchtet aus den Gemälden fast aller seiner venezianischen Zeitgenossen hervor: aus denen des Lotto, des Palma, des Giovanantonio da Pordenone, des Bonifacio veronese, des Cariani, des Dosso, des Romanino und vieler anderer mehr, seines Schülers Sebastiano Luciani zu geschweigen. Außer der Einwirkung Giorgione’s auf Tizian, welche selbst die Herren Cr. u. Cav. gelten lassen, ja sogar selbst in jenem Jugendbilde, das den heiligen Marcus thronend zwischen vier andern Heiligen darstellt (jetzt im Vorräume der Sacristei der „Salute“ zu Venedig aufgestellt) hervorheben[1], wollen die genannten Kunsthistoriker auch noch den Einfluß des Fra Bartolomeo della Porta darin gewahren, vornehmlich im Faltenwurfe und in der Bewegung sowohl des h. Sebastian als auch des h. Rochus. Um diese feine Bemerkung jedoch richtig und in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen und würdigen zu können, muß man wissen,


  1. Dieses Bild, sowie jenes in der Kirche vulgo di S. Marcuola in Venedig, den Jesusknaben zwischen den HH. Andreas und Catharina darstellend; ferner die Madonna mit dem Kinde (41) der Belvederegalerie scheinen mir die ältesten auf uns gekommenen Werke Tizian’s zu sein, und beide mögen wohl um 6 bis 8 Jahre früher als der „amor sacro und amor profano“ entstanden sein.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/62&oldid=- (Version vom 31.7.2018)