Seite:Die Werke italienischer Meister (Morelli).pdf/56

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

was die künstlerische Beziehung Lotto’s zu Leonardo da Vinci betrifft, so scheint mir dieselbe ganz und gar aus der Luft gegriffen.[1]Correggesk endlich war Lorenzo Lotto, ehe noch Antonio Allegri seine Sporen sich verdient hatte.

Correggio und Lotto waren eben verwandte Naturen, die zu der nämlichen Zeit wirkten. Beide suchten, wie schon Leonardo vor ihnen, der Anmuth der Seele einen Ausdruck zu geben – es ist das der letzte Schritt der auf ihren Gipfelpunkt angelangten Kunst. Dieser Zug lag offenbar in der organischen Entwicklung des Kunstvermögens selbst.[2] – In Bergamo wirkte Lotto in den Jahren 1515 bis 1524 [3]; in der Mark von Ancona und Rom von 1506 bis 1510, und dann später von 1554–1556; die übrige Zeit scheint er sich in Venedig,


  1. Der siebenzehnjährige Lorenzo, der 1505 in Florenz von Leonardo in sein Atelier aufgenommen wurde, ist wahrscheinlich der Bildhauer Lorenzetto; Lorenzo Lotto war damals in Treviso. Und als er 1515 sich in Bergamo festsetzte, reiste Leonardo nach Frankreich.
  2. Woher kommt es, daß so manches Porträt des Lotto dem Correggio zuertheilt wird? Bei einem Bildnisse, nach dem Leben gemalt, kann doch nicht von fremdem Einflusse auf den Maler die Rede sein, da die Auffassung immer ihm allein angehören muß.
  3. L. Lotto kam 1513 zuerst nach Bergamo, wo er den Contract unterzeichnete, mit dem er sich verpflichtete, das große Bild mit den Porträts der Stifter Alessandro und Barbara Martinengo für die Dominicanerkirche daselbst zu malen. Sodann kehrte er nach Venedig zurück und fertigte im Kloster von S. Giovanni e Paolo ein Modell von ungefähr 4 Fuß Höhe und 2 Fuß Breite zu dem bestellten Bilde. Dieses Modell, auf Holz gemalt und bezeichnet: LAV. LOT. in IO. PAV. PINXIT (d. h. im Kloster von S. Giovanni e Paolo) sah ich vor Jahren noch in Bergamo; später wurde es nach Frankreich verkauft. In dem großen Altarbilde, dem größten, das Lotto je gemalt, im Jahre 1515 begonnen und 1516 vollendet, ist nun Lotto Correggesker als selbst Antonio Allegri in seinem Bilde des h. Franz in der Dresdener Galerie (151), 1514 gemalt. Man betrachte z. B. darin namentlich die Bewegung des h. Alexander und die des Täufers, auch die der Engel, die unterhalb des Thrones scherzen. Die drei schönen Predellen zu diesem Bilde befinden [38] sich in der Sakristei der Kirche von S. Bartolomeo zu Bergamo, das Bild selbst hinter dem Hauptaltar. – Im Anfange jenes Jahres 1515, ehe Lotto in Bergamo ankam, muß er, wahrscheinlich auf seiner Durchreise durch Padua, das gute Porträt des Augustinus della Turre, Professors in Padua, gemalt haben. Dasselbe, gegenwärtig in der Nationalgalerie zu London, trägt folgende Inschrift: Dño Nicolao de la Turre nobili Bergomensi amico Singo, 1515. Bgmi. Lotto führte wahrscheinlich das Bild von Padua nach Bergamo mit sich und brachte es dem Niccolo della Torre. Er muß, wie ich glaube, erst später auch das andere Porträt, wahrscheinlich des Niccolo selbst, hinzugemalt haben; denn diese zweite Gestalt steht sehr unbequem im Hintergrunde da.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/56&oldid=- (Version vom 31.7.2018)