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Borghesische. Die Zeichnung der Hand der Madonna, der Wurf und die Beleuchtung der Haare des Christkindes, die Falten sind noch ganz und gar Bellinisch. Allerdings hat der h. Onuphrius, wie Professor Thausing ganz richtig bemerkt hat, einen Dürer’schen Anflug und erinnert speziell an einen Kopf in dem 1506 von Dürer zu Venedig gemalten Bilde „Christus unter den Schriftgelehrten“ (Galerie Barberini); allein ich glaube diesen „Zufall“ dadurch erklären zu können, daß wahrscheinlich derselbe venezianische Bettlerkopf, sowohl dem einen als dem andern Meister als Modell gedient haben dürfte. –

Vasari sagt: „Fu compagno ed amico del Palma Lorenzo Lotto“ d. h. Lotto war Mitschüler und Freund des Palma, und nicht Gehilfe (journeyman), wie die Herren Cr. u. Cav. übersetzen zu müssen glaubten, wahrscheinlich um damit ihre Thesis begründen zu können, daß Lotto der Schüler oder Nachahmer des Palma gewesen sei. Nun sind einige Werke dieses letztern aus seiner mittleren Zeit, 1512–1520, wie schon gesagt, so Lottisch, namentlich in der Art die Lichter aufzutragen, daß der verstorbene Mündler das Bild des Palma im Louvre (277) geradezu für ein Werk des Lotto erklärte.[1] – Palma ist zwar im Ganzen genommen ein vollkommenerer und auch gefälligerer Maler als Lotto, der sehr oft in seinen Werken sich überstürzt und das Gleichgewicht verliert, allein Lorenzo Lotto steht andrerseits, was Erfindungskraft und künstlerische Auffassung anlangt, weit höher und hat auch mehr poetischen „Estro“ als der Bergamaske. Lanzi bemerkt richtig: „Se Palma è meno animato del Lotto e meno sublime, è forse più bello, comunemente parlando, nelle teste delle donne e dei putti“. Der trockene und nüchterne Previtali, übrigens ein trefflicher Techniker, hat sicher keinerlei Einflüsse auf Lotto ausgeübt, wohl aber umgekehrt, wie wir dieß weiterhin sehen werden, und


  1. S. Beiträge zu Jacob Burckhardt’s Cicerone, p. 57.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/55&oldid=- (Version vom 31.7.2018)