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Vasari und des Ridolfi geradezu widerspricht? Haben sie etwa Documente aufzuweisen, mit denen sie ihre Thesis stützen könnten? Nein. – Rathe ich recht, so muß ihre Ansicht auf einer Täuschung beruhen.

Herr Reiset[1] in Paris hat nämlich ein Madonnenbild von Palma vecchio, das einzige mir bekannte Werk des Meisters, auf dem nicht nur der Name Jacobus Palma, sondern auch MD, also das Jahr 1500, wie Einige deuten, zu lesen ist. Nun erscheint aber die Mache auf jenem Bilde durchaus nicht als diejenige eines Quattrocentisten, sondern als die eines um wenigstens ein Decennium spätern Malers; überdieß ist das Bild durch Uebermalung ganz und gar entstellt. So ist z. B. die Form des Ohres vom Christkinde nicht die dem Palma eigenthümliche, sondern sie ist vom Restaurator modificirt worden, desgleichen die linke Hand der Jungfrau; der Himmel ist ganz übermalt, der Nimbus und der Bart des h. Hieronymus sind durchaus neu. Und wie sieht es denn mit der Aufschrift, dem s. g. cartellino, aus? Sind der Name und die Jahreszahl wirklich authentisch, oder sind sie später aufgesetzt worden? Aus den oben angeführten Gründen muß ich mich für das Letztere erklären.[2]


  1. Ich höre soeben, daß Herr Reiset seine ganze Sammlung an den Herzog von Aumale abgetreten hat.
  2. Dasselbe Vorurtheil, daß nämlich nicht Tizian auf Palma vecchio, sondern dieser auf Tizian eingewirkt habe, bestimmte die Herren Cr. und Cav. das reizende Jugendwerk Tizian’s, im Madrider Museum, 236, als von Palma beeinflußt anzusehen (Band II, 153). Dieses unter dem Namen Giorgione gehende Bild stellt Maria mit dem Christkinde dar, welchem die hl. Brigitta Blumen anbietet. An ihrer Seite steht ihr Mann, der hl. Ulfus in kriegerischer Rüstung. Dieses schöne Gemälde mag Tizian etwa zwischen 1510 und 1512 gemalt haben, also gerade in jenen Jahren, wo Palma vecchio an den Werken des Cadoriner’s seinen Stil vollkommen bildete. In diesem Bilde ähnelt der Kopf der Madonna [26] sehr dem jener von ihrem Gemahle für schuldig gehaltenen Ehefrau in dem schönen Tizian’schen Frescobilde der Scuola del Santo zu Padua. – Aus demselben Grunde sehen jene Herren die Einwirkung Palma’s in dem Madonnenbilde mit dem heiligen Antonius, No. 633 der Uffizi-Galerie; im „Amor sacro e Amor profano“ der Galerie Borghese, in dem Bilde der Antwerpener Galerie, worin der Bischof von Pafo, aus dem Hause Pesaro, dem heiligen Petrus empfohlen wird. Nun setzen die Herren Crowe und Cavalcaselle die Entstehung des „Amor sacro e Amor profano“, welches sie treffend in Amor sazio e Amor ingenuo umgetauft wissen möchten, in’s Jahr 1500, das Antwerpner Bild in’s Jahr 1503. Ich gestehe, daß ich diese ihre Meinung durchaus nicht zu theilen vermag. Das Borghesische Gemälde ist allerdings ein Jugendwerk des Meisters, es ist durch und durch Giorgionisch, aber in der Behandlung und Mache schon so breit und frei, daß ich es für um wenigstens 8 bis 10 Jahr später, also um d. J. 1509, gemalt halten muß. Auch das Antwerpener Bild, dessen Aufschrift übrigens den Charakter des siebzehnten Jahrhunderts trägt, scheint mir später, als um 1503, im Auftrage der Familie Pesaro ausgeführt zu sein. Die künstlerische Entwicklung sowohl Tizian’s als Palma’s, (beide einem Bergvolke entsprossen), ging gewiß langsamer von statten, als die Herren Crowe und Cavalcaselle uns glauben machen möchten. Hätte in den ersten Jahren des XVI. Jahrhunderts, also 1500–1503, Tizian schon so vorzügliche Werke hervorgebracht, wie diejenigen sind, welche die Herren Crowe und Cavalcaselle anführen, so würde er bald in Venedig zu solch’ einem Rufe gekommen sein, daß nicht nur 1506 Dürer uns von ihm berichtet, sondern daß auch selbst die Republik gewiß ihm Aufträge gegeben hätte. Aber erst in seinen noch ganz Giorgionischen Fresken in der „Scuola del Santo“ zu Padua (gemalt 1510–1511) bewährt er sein enormes Künstlertalent, weßhalb er auch gleich nachher von der Stadt Vicenza Aufträge erhielt. Selbst damals unterschrieb er sich auch noch nicht maestro, sondern einfach:
    Io tician di Cador depintore
    1511, 2. decembrio.
    Siehe Gozzati’s Werk über die Kirche del Santo zu Padua.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)