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Hute“, der früher auch dem Giorgione zugeschrieben war. Ein echtes, gutes, obwohl stark restaurirtes Bild von Palma dagegen hängt im Saale 9, Nr. 588: Maria hat das Jesuskind auf dem Schooße, während der h. Rochus ihm einen Rosenkranz darreicht; auf der andern Seite die h. Magdalena. Dieß Bild gehört zur s. g. blonden oder dritten Manier des Meisters.

Herr Professor Marggraff läßt den Palma vecchio nach Giovanni Bellini sich ausbilden und später auch nach Giorgione und Tizian. Dieser Ansicht, die, beiläufig gesagt, die bisher herrschende war, widersprechen aber auf’s Entschiedenste die neuesten Historiographen der italienischen Kunst, die weltbekannten Herren Crowe und Cavalcaselle. Diesen Herren zu Folge nimmt Palma als Bahnbrecher fast die erste Stelle in der venezianischen Schule der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts ein. Sie erzählen uns, daß von den beschneiten Alpen Piemonts bis zum Golfe von Triest, es keine namhafte Stadt im Pothale gegeben, die nicht den Einfluß der Palma’schen Kunst erfahren hätte, versichern uns ferner, daß Pellegrino da S. Daniele, Pordenone, Morto da Feltre und viele andere berühmte Meister jener Zeiten ihren Stil zum Theil dem Palma entlehnten, und nehmen deshalb an, daß dieser große Maler vor 1480 geboren sein müsse, daß er also um einige Jahre älter als Tizian, Pordenone und Sebastian del Piombo und Altersgenosse von Pellegrino und Giorgione gewesen sei. Aus allen diesen Gründen ertheilen sie ihm die Ehre, mit Giorgione und Tizian die venezianische Kunst modernisirt und regenerirt zu haben.[1]

Diese Frage ist, wie jeder Kunstfreund leicht einsehen wird, nicht ohne eine gewisse Bedeutung für die Geschichte der venezianischen Kunst, und deshalb möge man mir erlauben, etwas länger dabei zu verweilen, um diesen Punkt, so gut es eben an dieser Stelle geschehen kann,


  1. Siehe Band II, S. 456.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/36&oldid=- (Version vom 31.7.2018)