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1. Die Venezianer.

Sehen wir nun in dem neuen 1872 erschienenen Kataloge des Herrn Dr. Marggraff nach, ob die Altmeister der Schulen in den Räumen der Galerie würdig vertreten sind, so fallen uns vor Allem zwei Namen in’s Auge, welche beide einen trefflichen Klang haben und Männern angehören, die während des 15. Jahrhunderts die Hauptvertreter, der erste der venezianischen, der andere der paduanischen Malerschule waren, nämlich Giovanni Bellini und Andrea Mantegna. Das sind große, charaktervolle Meister, und man sollte voraussetzen dürfen, daß ihre Physiognomien jedem Kunstforscher klar in’s Gedächtniß eingeprägt seien. Sollen wir aber deshalb ohne weiteres dem Kataloge Glauben schenken? Schwerlich, da ja Herr Dr. Marggraff in seiner Vorrede selbst anerkennt, daß menschliche Urtheile nicht unfehlbar sind. Auch hat ja der Geist wie der Körper seine Gewohnheiten, hängt an dem ihm überlieferten Lug und Trug eben so zähe, ja noch zäher, als an der Wahrheit. Darum rathe ich allen jüngern Kunstbeflissenen, sind sie wirklich gewillt in den Bildersammlungen etwas zu lernen, vorurtheilsfrei die darin aufgestellten Gemälde zu prüfen, unbeirrt von Meinungen, die andere darüber ausgesprochen haben. Sie werden dabei ohne allen Zweifel gar manchen Fehltritt thun, allein irren ist menschlich, und nur durch das Fallen lernt man auf eigenen Füßen stehen. Die größten Kunstkenner und Kritiker neuerer Zeiten, Rumohr und Otto Mündler, wie die Crowe und Cavalcaselle und andere mehr, sind ebenso

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/29&oldid=- (Version vom 31.7.2018)