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Will man also die Geschichte der Kunst eines Volkes kennen lernen, so muß man allen drei Gattungen von Formen, deren der Volksgenius in der Kunstsprache sich bedient, die nämliche Aufmerksamkeit widmen. Und vor allem rathe ich meinen jungen Landsleuten, das Studium der Handzeichnungen der großen Meister sich angelegen sein zu lassen. Die gemalten Werke sind, wie gesagt, meist so entstellt, sei es durch den Zahn der Zeit, sei es durch die Pfote des Restaurators, auf uns gekommen, daß wir in vielen Fällen die Hand und den Geist des Künstlers, unter der Hülle, die sein Werk bedeckt, nicht mehr zu sehen vermögen. In den Handzeichnungen dagegen steht der ganze Mann, so zu sagen ohne Hülle, ohne Affectation, vor uns, und sein Genius, mit seinen Vorzügen und seinen Gebrechen, spricht unmittelbar zu unserm Geiste.

Aber nicht nur für die Kenntniß der einzelnen Meister ist das Studium der Handzeichnungen unentbehrlich, sondern

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)