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Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin

und steht darin allen andern Schulen der Welt voran; nach derselben kommt vielleicht die veronesische.

Die venezianische Schule, welche es, wie die Herren Crowe und Cavalcaselle sehr richtig bemerken, im XIV. und Anfange des XV. Jahrhunderts in der Malerei nie über’s Lallen gebracht und erst durch Gentile da Fabriano und Pisanello, und nicht, wie einige deutsche Schriftsteller behaupten, durch den sehr überschätzten Johannes Alemanus, zum reden kam, die Stadt-Venezianer, sage ich, drückten sich dafür in jener Periode um so trefflicher und charakteristischer in Stein aus, in architektonischen und Bildhauer-Arbeiten, und ich brauche hier bloß die Namen des Filippo Calendario, der Brüder delle Massegne und des Meisters Bartolommeo[1] zu nennen, um auf diesen wichtigen Punkt in der Entwicklung der Kunstsprache aufmerksam zu machen; darf man doch, wenn man einer Kunstschule gerecht werden will, nicht bloß die eine Form des geistigen Ausdrucks in der Zeichensprache, d. h. die Malerei, ausschließlich in Betracht ziehen. In einer spätern Phase der Entwicklung, als die Malerei durch die Vivarini und die Bellini zu voller Blüte kam, d. h. zu Ende des XV. Jahrhunderts, sehen wir dagegen in Venedig die Sculptur von der Malerei zurückgedrängt und von dieser ins Schlepptau genommen, eine Wandlung der Dinge, die sich nicht lediglich auf die Stadt Venedig beschränkte, sondern sich in gleicher Weise in ganz Oberitalien vollzog. Während man z. B. in den Werken der Lombardi und selbst des Alessandro Leopardi bald die Vivarini, bald Giovanni Bellini erkennt, so fühlt man in den Figuren des trefflichen Bildhauers Antonio Riccio von Verona jene veronesische Malerschule durch, aus welcher Riccio’s Landsmann, der Maler Liberale, hervorging, (z. B.


  1. Man vergleiche die Skulpturen am Dogenpalast aus der Mitte des XV. Jahrhunderts, in S. Marco, den Frari, S. Giovanni e Paolo, Abbazia u. s. w.
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Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/25&oldid=- (Version vom 31.7.2018)