Seite:Die Unglücksfahrt des Neptun.pdf/5

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2)

Schicksal mußte den größeren Teil der auf dem Vorderdeck stehenden Raubtierkäfige ereilt haben, da mehrere ihrer Bewohner, drei Löwen, das Tigermännchen und drei Leoparden, zwischen den Trümmern bald hier, bald da auftauchten.

Noch an demselben Vormittag wurde dann von den Tierwärtern und einigen mutigen Matrosen der Versuch gemacht, die Bestien zurückzutreiben. Zu diesem Zweck hatten sich die Leute mit den in der Kapitänskajüte vorhandenen Revolvern – andere Schußwaffen befanden sich nicht an Bord – und auch mit langen Stangen bewaffnet, die an der Spitze dicht mit geteerten Lappen umwickelt waren. Mit diesen primitiven, in Brand gesetzten Fackeln hoffte man die Raubtiere am leichtesten einschüchtern zu können. Aber trotz dieser Hilfsmittel mißlang der Versuch vollkommen und kostete außerdem noch einem der Matrosen das Leben. Dieser hatte sich zu weit vorgewagt und war von einem der Löwen im Sprunge niedergerissen und zerfleischt worden, ohne daß man ihm zu Hilfe eilen konnte. Sein die Nerven aufpeitschendes Hilfegeschrei, das erst verstummte, als die übrigen Leute schon wieder unter Deck geflüchtet waren, schüchterte alle derart ein, daß niemand zum zweiten Male sich hinauswagen wollte. Die Besatzung war also in den beiden Wohnräumen des Kapitäns, aus denen nur eine einzige Tür auf das Deck führte, eingeschlossen, und zwar ohne alle Nahrungsmittel und ohne einen Tropfen Trinkwasser, denn die Vorratsräume lagen im Vorschiff, und dort trieben sich die Raubtiere umher.

Als drei Tage verflossen waren – inzwischen hatte man, sobald sich eine der Bestien bis in Schußnähe an die Kajütfenster heranwagte, regelmäßig aus den Revolvern ein völlig ergebnisloses Feuern auf die Raubtiere unterhalten – spornte Hunger und Durst die Leute des „Neptun“ zu einem nochmaligen Versuch an, der Bestien Herr zu werden oder doch wenigstens bis zu den Vorratskammern vorzudringen. Mit Beilen wurde ein Loch in den Fußboden der Kajüte geschlagen, so daß man in den Laderaum hinabsteigen und von da aus weiter durch den Maschinenraum in das Vorschiff gelangen konnte. Drei der Wärter machten sich denn auch, wieder ausgerüstet

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Ungl%C3%BCcksfahrt_des_Neptun.pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)