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heilkundig und Herr über manche Naturkräfte. Ihr Zauber zeigt sich darin, daß sie sich in allerlei Tiergestalten verwandeln, selbst als Vögel fliegen können, daß sie Menschen mit unaufzehrbaren Lebensmitteln oder nie alle werdenden Schätzen beschenken; sie wissen die besten Mittel gegen Pest und Seuchen und können selbst das Wetter machen oder beeinflussen, sie schieben Gletscher vor- und rückwärts, holen Menschen und Tiere aus tiefen Klüften, melken Milch aus in die Wand gesteckten Pflöcken u. a. Wer aber ihren Willen nicht tut und wer neugierig ist, wird bestraft; besonders schwer hat ihre Rache zu fühlen, wer sie beleidigt.

Wer kennt nicht das überaus reizende Gedicht von Kopisch: „Die Heinzelmännchen“, in dem uns die Tätigkeit und der Fortgang der Hausgeister in Köln geschildert wird. Es sind Zwerge, die oft mit dem Namen Klopf- oder Poltergeister und Kobolde, Wichtelmännchen u. a. bezeichnet werden. Im Schottischen kennt man sie als Brownies, in Dänemark und Norwegen als Nissen oder Nisser. Sie unterscheiden sich von den eigentlichen Zwergen nur dadurch, daß sie sich in den menschlichen Wohnungen aufhalten und hier, bald sichtbar, bald unsichtbar, an dem Geschicke der Familie teilnehmen. Sie sind den Menschen freundlich gesinnt, kehren mehr die heitere Seite nach außen und treiben gern in neckischen und boshaft-spaßigen Streichen ihr Spiel mit den Menschen. Sie blasen plötzlich die Lichter aus, stoßen faulen Mädchen die Kübel um, streicheln sie unter der Nase, daß sie im Schlafe niesen müssen, oder ziehen ihnen die Decke vom Bett, springen einem jählings auf den Rücken, ketten das Vieh fast unlösbar zusammen, drücken und zwicken Knechte und Mägde u. a., werfen aber auch Unrat in Speise und Trank, bringen die Menschen zu Falle, drehen der besten Kuh den Hals um oder befriedigen ihre dämonische Lust auf ähnliche boshafte Weise. Doch meistens haben die Neckereien das Gepräge gutmütiger Ausgelassenheit; wer nimmt es aber so genau mit dem Schabernack dieser kleinen Personen? Weiß man doch, daß das von ihnen zum Aufenthaltsorte gewählte Haus vor Feuersbrunst und anderen Unfällen vollkommen gesichert ist, daß sie ein wahrer Segen für die Wohnung sind, die sie mit ihrer Anwesenheit beehren. Sie bewohnen irgend einen dunklen Hauswinkel, oder auch nahe Bäume; bei den Friesen halten sie sich unterm Dache auf, wo sie

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Karl Wehrhan: Die Sage. Wilhelm Heims, Leipzig 1908, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Sage-Karl_Wehrhan-1908.djvu/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)